Gerhard Nebel gehört zu den am meisten verschollenen Autoren dieses
Jahrhunderts in Deutschland. Geboren im anhaltinischen Dessau, war er stets der
Sucher nach dem "Normativen", nach einer gleichsam metaphysischen
Beheimatung. Durch den Niedergang der Weimarer Republik politisiert, tritt er
zunächst der SPD bei, um später mit dem Syndikalismus Sorels zu
sympathisieren. Später wird er wegen sozialistischer Agitation vom Schuldienst
suspendiert und vollzieht nach der Begegnung mit Carl Schmitt und Ernst Jünger
eine Wende zum undogmatischen Konservatismus. Er kritisiert aber zugleich
Jünger, weil dieser an die innerweltliche Erlösung glaube. Der Mensch sei
aber, so Nebel, ein verrücktes und bösartiges Wesen, das gelenkt, verführt,
betrogen werden muß - zu seinem Besten. Wir haben es also mit einem
misanthropischen, gleichsam anthropofugalen Phänomen zu tun. Das vorliegende
Buch gilt der Wiederentdeckung dieses vergessenen Phänomens. Es enthält
zentrale Aufsätze, die zeigen, daß Gerhard Nebel nicht nur ein glänzender
Schriftsteller und wortgewaltiger Polemiker war, sondern auch viele der Probleme
unseres Zeitalters früher gesehen hat als andere.
In Aufsätzen wie "Dunkelheit" zeigt sich Nebel als Gegner der
Aufklärung und Okkasionalist, der kantige Individualitäten und die
lebensweltliche Komplexität von Ordnungen bevorzugt. Die "ontologische
Armut", also die Einengung auf die Realität, sorge für den Unmenschen,
den Verschwender und Hedonisten der Gegenwart, der sich durch ein Feindbild
seine Energien verschafft. Diese bornierte Immanenz - das hybride Bestehen auf
die Diesseitigkeit allen Seins - kommt für Nebel ohne eine feindliche böse
Macht, die sich der Mensch konstruiert, nicht aus: sei es der Russe, der
Faschist oder der Amerikaner. Und so folgt daraus, daß Nebel unter anderem auch
in dem Text "Jetzt und Augenblick" die Unstetigkeit der Phrasen des
politischen Alltags gnadenlos entlarvt. Zwei Formen der Entpersonalisierung
stellt er dabei fest: der wirkliche Ästhet und der zur Brauchbarkeit entleerte
Funktionär, der sich dieser Phrasen bedient.
Keine Frage: Bei allen Essays, die den Leser wahrlich hinreißen, zeigt sich die
Grundtendenz, daß der Mensch von Nebel als ein notwendig Scheiternder
betrachtet wird, der statt des Himmelreiches stets die Hölle zu organisieren
beginnt und dessen Langeweile in Zeiten der "Zivilisation" die
"Verödung der Herzen" mit sich führe. Verzichtet der Gelangweilte
auf die sich überall anbietenden medialen Übertünchungen seiner Nichtigkeit,
so schlage das erst in Wirklichkeit um. Erst das ist für Nebel die Wiedergeburt
des Menschen. Sehr scheint er also unter den terminologischen Verkürzungen und
der potentiellen Denkfaulheit des "Rationalismus" zu leiden: "Mit
frisch erlernten Vokabeln und keiner soliden und zuchtvollen Arbeit wird heute
alles bewältigt: Geschwätz reicht aus, um Lebensunterhalt zu verdienen, frisch
erlernte Wörter: Struktur, faschistoid, funktional, Dialektik, repressiv,
Polarisierung, stagnieren, forcieren. Es sind Wortkadaver, die vom Leben des
Geistes verlassen sind." Keine Frage, daß er hier an die Bewegung der 68er
und deren Wortkonstruktionen denkt, die er auch als ein Produkt der Langenweile
sah.
Sehr hilfreich ist in diesem Buch das Nachwort, welches erstmals zu fassen
vermag, was Gerhard Nebel ausmacht: Einzelgängertum, Stärke im Verwerfen und
Verehren, Verachtung der rationalistischen Seinsverengung, Kampf gegen die
transzendenzvernichtende Aufklärung. Dem Leser drängt sich der Eindruck auf,
daß Nebel seine Lage kontinuierlich für hoffnungslos sah. Aber selbst diese
Hoffnungslosigkeit muß für ihn annehmbar gewesen sein, war es doch für ihn
bekanntlich ohnehin unerheblich, ob der Untergang kapitalistisch, dirigistisch,
demokratisch oder faschistisch passiert. Der Mensch befindet sich für Nebel
immer in einer antinomischen Situation, zwischen Gebundenheit und Freiheit,
zwischen Geist und Natur, zwischen Gott und Welt. Und so liegt Nebels Bedeutung
heute gerade in der Deutlichkeit, mit der er dieser Erfahrung Ausdruck verlieh.
Seine hier vorliegenden Essays über den modernen Zeitbegriff und den
Fortschrittsgedanken sind ein entsprechend großartiger Pfeiler in Buchform, den
ein Denker in den literarischen Boden rammte, der weder der Aufklärung noch dem
Irrationalismus zuzuordnen, weder der Linken zugehörig ist noch Versuchungen
von Rechts nachgab.
Fazit
Nebel war unabhängiger und dadurch erst der kompromisslose Beobachter seiner
Zeit, den seine Leser nunmehr als unverwechselbar erleben können.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 18. November 2007 2007-11-18 18:13:27