Stringent, spannend und zurückgeschaut
Jack Reacher hatte ein Leben vor seinem Herumstreunen mit je weitgehend nur kurz
betragener Kleidung. Was in den vorhergehenden Thrillern um den kühlen und
überlegenen Ermittler und Kämpfer hier und da bereits Thema war, im neuen
Thriller von Lee Child aber vollends nun in der Vergangenheit spielt. Als Major
Reacher noch offiziell im Dienst bei der MP war, aber auch in diesem Fall nun
bereits gratwandelt zwischen dem gewohnten Trott und einem geheimdienstlichen
Auftrag. Bei dem etwas Verschwundenes wieder auftaucht. Etwas lange
Verschwundenes.
In doppelter Hinsicht. Menschlich ein Soldat, der seit Monaten unerlaubt von der
Truppe fernbleibt. Und eine Kiste, die noch viel länger verschollen war. Was
gar keiner gemerkt hat. Was beim Inhalt der Kiste ziemlich kritisch werden
könnte. So wundert es nicht, dass sich oberste Stellen in Washington
einbringen, die besten Ermittler verschiedener Dienste zusammengeholt werden und
sich nach und nach das Zentrum all des Geschehens nach Deutschland, genauer nach
Hamburg, verlagert.
Wo Child zudem, trotz der schon länger zurückliegenden Zeit, in der Reacher in
diesem Fall in Hamburg seine intuitiven und analytischen Fähigkeiten einbringt,
bereits ein hochaktuelles Thema bestimmter organisierter Gruppen mit einbringt,
die auch in der Gegenwart intensiv in der Diskussion stehen. Eine innere Haltung
mancher Köpfe, die Reacher am Ende des Falles auf seine ganz eigene Art und
Weise, zumindest im konkreten Fall, aus der Welt schaffen wird.
Wobei man sagen muss, ohne zu viel vom Inhalt zu verraten, dass in diesem neuen
Thriller die "Ahnungen" des Mannes, seine deduktiven Schlüsse und
seine "Spurensuche" doch ein stückweit sehr konstruiert zur Lösung
des Falles und zum Auffinden beider verschollener "Objekte" führen
wird. Dass dabei harte Action und der Kampf "Mann gegen Männer"
mehrfach glasklar geschildert von Lee Child nicht zu kurz kommt, dass Reacher
gar ein ganz besonderes Verhältnis zu seiner aktuellen und kühlen Vorgesetzten
in den Raum setzten wird und auch ein Orden eine Rolle spielen könnte, das
sorgt dann wiederum für unterhaltsame Lesestunden und Tempoverschärfungen
zwischendurch.
"30 Sekunden später trat der Leiter der CIA-Station aus dem Schatten
(...), zog die Zeitung heraus, klemmte sie sich unter den Arm und schlenderte
davon".
Spione, Informanten, eingeschleuste Agenten, ein Soldat, der seit langem den
Geschichten seines Onkels, vor allem über "Davy Crockett" intensiv
zugehört hat, Reacher und seine Freundin Neagley, die eigentlich bestens zu ihm
passen würde, aber "hautnah" einfach nicht ertragen kann, schmale
Durchgänge mit Hinterhöfen, eine Bar mit einem ganz besonders
"altmodischen" Publikum, Lee Child gelingt es, wie immer, Atmosphären
zu schaffen ohne sich ellenlang mit Orts- oder Personenbeschreibungen
aufzuhalten. Bestens gelungen ist hier vor allem der Leiter der Ermittlungen auf
deutscher Seite, der "dicke Griesmann", in dem Reacher trotz dessen
Äußeren einen kongenialen Partner findet, ohne dass jene "einsame
Distanz", die Reacher immer mit sich trägt, beeinträchtigt werden
würde.
"Die Deutschen glaubten, sie hätten ein Land zurückbekommen; die
Amerikaner glaubten, sie hätten einen riesigen Militärstützpunkt mit
Servicepersonal gekauft" - was niemanden hindert, eisern zur Sache zu
gehen, wenn auch Störungen und interne "Sperrfeuer" teils fast zu
spät erst bemerkt werden.
Fazit
Alles in allem eine spannende, flüssige Lektüre, die sich im Stil nahtlos an
alle anderen Reacher-Thriller anschließt, wenn auch in Teilen ziemlich
konstruiert in den Lösungswegen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 31. Januar 2020 2020-01-31 16:20:11