"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" hat bei mir einen
zwiespältigen Gesamteindruck hinterlassen. Das Buch - soviel sei im Voraus
verraten - enthält ein schlüssiges Ende. Die so merkwürdig klingende
Prophezeiung: "Keiner kann leben, während der andere überlebt" geht
haargenau in Erfüllung. Das Buch ist auch ein sehr politisches Werk. Voldemort
hat das Zaubereiministerium erobert und "reinigt" es von
"Muggelfreunden" - ebenso wie Hogwarts, welches von Voldemort erobert
und vollkommen "umgekrempelt" wird. Wer Verständnis für
"Schlammblüter" bekundet, wird sofort getötet - wie - gleich im
ersten Kapitel - die unter Dumbledore Muggelkunde unterrichtende Lehrerin in
Hogwarts.
Das Buch spart nicht an Grausamkeiten; über 50 Tote wurden gezählt; leider
sind viele Tode nicht notwendig und scheinen so eben einmal
"dahingeschrieben" worden zu sein. Zwar wird die Bedrohung der
gesamten Muggel- und Zaubererwelt durch den Psychopathen Voldemort gut
dargestellt - neben Band 5 ist es der politischste Band der Serie - dennoch
hätten etwas weniger Grausamkeiten und auch weniger Voyeurismus (die
Muggelkunde-Lehrerin wird gleich Voldemorts Schlange zum Abendbrot
"vorgeworfen") hätten dem Buch sehr gut getan.
Die wesentlichen Handlungstränge und offenen Fragen der Haupthandlung werden
geklärt - die Gesinnung des unheimlichen früheren Zaubertrank- und
DADA-Lehrers Severus Snape ebenso wie die wichtigsten Ereignisse im
"Halbblutprinzen."
Dennoch bleibt - aus meiner Sicht - zu viel an Einzelheiten ungeklärt und
offen. Es gibt zahlreiche Ungereimtheiten in der Handlung, die stutzig machen
und mich fragen ließen: wo sind die Lektoren geblieben oder traut sich niemand
mehr, Rowling in ihren "Plot" hereinzureden? Ein Beispiel: Hermine
erklärt Harry und Ron, sie habe ihre Eltern mit einem Gedächtniszauber belegt,
um diese vor Befragungen durch Voldemort nach dem Verbleib ihrer Tochter zu
schützen. Kurze Zeit später kommt das Gespräch erneut auf
"Gedächtniszauber" und hier erklärt Hermine, sie habe noch niemals
einen solchen angewendet. Zweites Beispiel: im ganzen Buch bewegen sich die
Charaktere mit "Vielsafttrank" fort: sie sind dadurch in der Lage,
sich zeitweise in andere Personen zu verwandeln ohne erkannt zu werden. Doch
woher haben sie diesen Vorrat ansammeln können? Um sich nur eine Stunde
verwandeln zu können, mußten Ron, Harry und Hermine in Band 2 einen Monat
vergehen lassen. Solche Fragen sind ärgerlich.
Außerdem hat es die Autorin aus meiner Sicht nicht geschafft, die Charaktere
glaubwürdig zu entwickeln. Dass JKR - die Elemente des Kriminalromans in ihren
Büchern versteckt - den "Bösen" plötzlich zum "Guten"
avancieren lässt und manches bei der "Meisterin des Wronski-Bluffs"
eben nicht so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, dies geht noch an.
Wenn aber hier - wie im Falle des Zaubereidirektors Albus Dumbledore - ein
Charakter vollkommen "umgekrempelt" wird und aus dem
"merlin-artigen" Gottvater Albus Dumbledore plötzlich ein
berechnender Schachspieler wird (und anders können m.E. die vielen
Enthüllungen über ihn und das Kapitel 33 - welches die Ursache des Vertrauens
von Dumbledore in Severus Snape behandelt - nicht gedeutet werden), dann ist
dies aus meiner Sicht eher ärgerlich. Rowling kreiert aus meiner Sicht keine
glaubwürdigen Charaktere sondern nutzt sie so, wie sie sie in der jeweiligen
Szene gerade "braucht"; an der Wandlung der Charaktere von Lupin und
Kreacher im Vergleich zu den Bänden 3 und 5 kann dies exemplarisch aufgezeigt
werden.
Allerdings schreibt JKR spannend - mit Ausnahme des Mittelteils - und der finale
Endkampf mit Voldemort ist durchaus schlüssig und faszinierend dargestellt. Ob
es wirklich "nicht besser geht", wie der Literaturkritiker Michael
Maar, Autor des Rowling-Bandes "Warum Nabokov Harry Potter gemocht
hätte" gesagt hat, sei einmal dahingestellt; gut durchdacht scheint mir
dieser Teil zu sein.
Mehr soll hier nicht verraten werden, um die Spannung nicht zu verderben.
Fazit
Insgesamt bleibt ein zwiespältiges Fazit: der Band ist - bezogen auf die
Hauptereignisse - durchaus durchdacht, spannend, hat auf mich aber aufgrund der
zahlreichen Ungereimtheiten in Einzelheiten der Handlung, der meines Erachtens
stellenweise willkürlichen Charakterdarstellung und auch Längen in der Mitte
der Handlung nicht die Faszination auslösen können, die insbesondere die
Bände 1,2 und 6 in mir ausgelöst haben. Aber die Geschmäcker sind ja
bekanntlich verschieden.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 27. Oktober 2007 2007-10-27 08:48:20