Wolfram Pyta: Hindenburg: Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler
Immense Forschungsleistung, aber wo bleibt der "Wald vor lauter
Bäumen?"
Wolfram Pyta hat mit seiner Hindenburg-Biographie eine enorme Forschungsleistung
erbracht und sicherlich die Biographie vorgelegt, die wirklich alle verfügbaren
- auch neuen - Quellen zu Hindenburg erarbeitet hat. Besonderen Wert erhält die
Biographie dadurch, dass sie nicht nur geschichtliche, sondern auch
politikwissenschaftliche Forschungsansätze - insbesondere zur Diktatur- und
Charismaforschung - berücksichtigt. In Anlehnung an seinen Aufsatz: "Paul
von Hindenburg als charismatischer Führer der deutschen Nation" in Frank
Möllers: "Charismatische Führer der deutschen Nation" aus dem Jahr
2004 gelingt es Pyta, Hindenburgs Popularität, seinen Mythos darzustellen und
auf dieser Basis zu erklären, warum Hindenburg Hitler im Jahre 1933 mit der
Kanzlerschaft beauftragte. Im Herbst 1932 hatte die charismatische Herrschaft
Hindenburgs ihren Zenit erreicht. Weite Teile der deutschen Gesellschaft
warteten - so Pyta in dem erwähnten Aufsatz in Möllers Sammelband - geradezu
darauf, dass Hindenburg unter Ausnützung der in der Weimarer Verfassung
steckenden Möglichkeiten das politische System in ein auf ihn zugeschnittenes
Präsidialsystem umwandelte. Insbesondere der letzte Reichskanzler vor Hitler,
der von Hindenburg gegen seinen Willen ernannte Kurt von Schleicher, hat
Hindenburg zu einer solchen Lösung, welche sich auf die aktive Unterstützung
der Reichswehr hätte verlassen können, gedrängt. Warum hat Hindenburg diese
Lösung abgelehnt? Zunächst aus persönlichen Gründen: Hindenburg hatte
bereits Brüning unter anderem deswegen entlassen, weil er spürte, dass die
unpopulären Notverordnungen, die unter seinem Namen erfolgten, nicht nur
Brünings Ansehen auf einen Tiefpunkt gebracht hatten, sondern auch eine
Gefahrenquelle für seine Popularität, seinen Mythos und sein Charisma gewesen
sind. Hindenburg hatte zwar Geschmack am Regieren und Herrschen gefunden - und
er war - wie es Pyta zeigt - eben keine Marionette seiner Berater, sondern traf
letztlich alle Entscheidungen - auch diejenige der Ernennung Hitlers - selber.
Aber Hindenburg wollte in erster Linie seinen Mythos und seine Popularität
erhalten. Eine Entscheidung zugunsten der präsidialen Republik hätte
Hindenburg in Konflikt mit der politischen Rechten in Gestalt der
Nationalsozialisten gebracht. Und es hätte vor allen Dingen aus seiner Sicht
die Gefahr bestanden, dass durch die Führung der NSDAP alles, was ihm lieb und
teuer geworden war, einer öffentlichen Auseinandersetzung unterzogen worden
wäre.
Zweitens erkannte er, dass er zu einer zum Konflikt mit dem Reichtstag
entschlossenen Präsidialregierung die Reichswehr als machtpolitischen Rückhalt
benötigte. Wenn dieser ausfiel, konnte Hindenburg keinen Bürgerkrieg riskieren
und den Staatsnotstand nicht wagen.
Drittens war Hindenburg im Januar 1933 mit 85 Jahren ein alter Mann. Zwar war er
weit von einer ihm oft zugesprochenen Senilität entfernt, aber er spürte sehr
wohl ein Schwinden seiner Kräfte und war auch von daher nicht länger bereit,
das amt des Reichspräsidenten als Verpflichtung zu einer politischen Kraftprobe
zu interpretieren. Hindenburg sehnte sich danach, sich auf seine rein
repräsentativen Aufgaben zurückziehen zu können und so Konflikten, die zur
Minderung seines Charismas und seines Mythos hätte führen können, aus dem Weg
zu gehen. Hindenburg scheute davor zurück, sich politisch so zu exponieren,
dass sein Mythos, dessen Pflege und Bewahrung ihm zur Lebensaufgabe geworden
war, irreparablen Schaden erleiden konnte. Hindenburg gestand sich mit der
Ernennung Hitlers zum Reichskanzler indirekt ein, dass sein Charisma lediglich
geborgt war und auf einer Fremdzuschreibung durch die deutsche Gesellschaft
beruhte. Es war daher ein viel zu zerbrechliches Gut, als dass er eine
existentielle Krisensituation mit dessen Einsatz hätte meistern können.
Hindenburg verdankte seine charismatische Herrschaft in erster Linie der
politischen Instrumentalisierung seines Mythos - und daher schreckte er vor
einer möglicherweise mythenzerstörenden Politik zurück.
Drittens war Hindenburgs Ziel, das deutsche Volk zu Einigkeit und einer
Volksgemeinschaft zu führen. In diesem programmatischen Ziel sah er sich mit
Hitler einig, wie Hitlers erste Regierungserklärung vom 1. Februar 1933 bewies.
Spätestens mit dem Tag von Potsdam - von Pyta als "endgültiger
Durchbruch" im persönlichen Verhältnis Hindenburgs zu Hitlers bezeichnet
(S. 824) - gingen Hitler und Hindenburg eine Symbiose ein, von der beide Seiten
profitierten. Hindenburg zog sich auf die charismatischen Grundlagen seiner
Herrschaft zurück - seinen Feldherrenruhm, dem ihm niemand mehr streitig
machte. Sein potentieller Nachfolger würde auch nach Hindenburgs Tod dessen
Mythos nicht antasten und ihn als unentbehrlichen Wegbereiter für die innere
Einheit der Nation preisen. Hitler konnte den Hindenburg-Mythos nutzen, um ihn
als Rechtfertigungsinstanz für seine Politik zu nutzen und von dem Ruhm
Hindenburgs zu profitieren, so dass ihm bei Hindenburgs Tod niemand den Anspruch
auf dessen Nachfolge würde streitig machen können. Mit seinem Testament vom
Mai 1934 designierte Hindenburg Hitler zu seinem "unmittelbaren"
Nachfolger, wie es Hindenburgs Sohn Oskar in einer Rundfunkansprache im August
1934 - unmittelbar vor der Volksabstimmung über die Nachfolge Hindenburgs -
auch bestätigte.
So weit zum Inhalt dieser monumentalen Biographie. Wie oben angedeutet,
fasziniert die Anwendung des Charisma-Begriffes auf Hindenburg, der geeignet
ist, die Ereignisse, die zur Ernennung Hitlers führten, zu erklären und somit
politikwissenschaftliche Ansätze der Charisma- und Diktaturforschung für die
historische Forschung über das Ende der Weimarer Republik gewinnbringend zu
nutzen.
Dennoch bin ich mit dieser Biographie nicht hundertprozentig zufrieden. Ich
vermisse eine zusammenfassende Wertung der Rolle Hindenburgs in der deutschen
Geschichte und habe das Gefühl, den "Wald vor lauter Bäumen" nicht
mehr zu erkennen. Wie kommt es, dass ich das Gefühl habe, von einem
Drei-Seiten-Essay Heinrich Augsut Winklers: "Hindenburg, ein deutsches
Verhängnis" (in seinem neuen Werk: "Auf ewig in Hitlers Schatten?)
mehr über Hindenburgs Rolle in der deutschen Geschichte zu erfahren als in
Pytas monumentalem Werk? Wie kommt es, dass ich nach wie vor in der Methode von
Horst Möller, der seine Geschichte über die Weimarer Republik mit einer
vergleichenden Gegenüberstellung der beiden Reichspräsidenten Ebert und
Hindenburg beginnt, mehr Erkenntniswert über die Wirkung beider
Persönlichkeiten und ihrer Rolle als Stabilisator bzw. Totengräber der
Weimarer Republik abgewinnen kann als in Pytas Werk?
Dies liegt daran, weil Pyta den Leser mit Material überfrachtet, ohne dem Leser
zu erklären, warum heute noch eine Biographie über Hindenburg notwendig ist
und was das Wesentliche in seiner Rolle in der deutschen Geschichte ist. Paul
Sethe hat dies - in Anlehnung an Karl-Dietrich Bracher - einmal sehr prägnant
auf den Punkt gebracht: "Dreimal hat Paul von Hindenburg eine
verhängnisvolle Entscheidung getroffen: er hat dem Kaiser geraten, nach Holland
zu gehen; er hat die Doclhstoßlegende in die Welt entsandt; er hat den letzte
fähigen Staatsmann von Weimar [Sethe bezog sich hier auf Brüning]
entlassen." Nicht umsonst nennt Winkler Hindenburg in seiner oben zitierten
neuen Essay-Sammlung: "Ein deutsches Verhängnis". Hindenburg hat mit
seinen Entscheidungen zum Ende der ersten demokratischen Republik beigetragen
und Deutschland an Hitler ausgeliefert; er war der "Totengräber"
Weimars. Dies hätte Pyta durchaus deutlicher herausarbeiten müssen. wie vor
das wichtigste Werk
Fazit
Insofern bleibt die - hervorragende und leider vergriffene - Biographie Andreas
Dorpalens über Hindenburg in der Geschichte der WEimarer Republik aus dem Jahre
1966 nebst dem oben erwähnten Buch von Horst Möller das nach wie vor
wichtigste Werk für denjenigen, der verstehen möchte, warum die Weimarer
Republik gescheitert ist.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 14. Oktober 2007 2007-10-14 10:40:27