Abattoir präsentiert sich dem Leser bereits von außen als etwas Besonderes. So
entzückt die stimmungsvolle Gestaltung, die sich wohltuend von den leider allzu
verbreiteten, lieblosen und nichtssagenden Massenumschlägen abhebt, das Auge
des Lesers. Das Buch selbst enthält neun Erzählungen, deren Länge von ca. 15
bis 70 Seiten variiert. Alle sind, wie es auf dem Buchrücken geschrieben steht,
"fest in der Realität verankert", d.h. sie gleiten nie ins
Phantastische und sind stets um einen gewissen Realismus bemüht, der sich
zuweilen in minutiös beschriebenen Szenen niederschlägt. Der Anspruch auf eine
gewisse Realitätsnähe ergibt sich wohl unweigerlich aus den stark
gesellschaftskritischen Zügen des Werkes, die in ihrer nicht selten
schonungslosen Härte dazu angetan sind, zartbesaiteten Lesern die Lektüre zu
vergällen. Wer recht detaillierte Gewaltszenen scheut, dem sei von diesem Buch
eher abgeraten.
Doch neben den oben beschriebenen Aspekten kommen auch humorvolle Einsprengsel
und mit spitzer Zunge vorgetragene Kritik nicht zu kurz. Deutlich merkt der
Leser hiebei das scharf beobachtende Auge des Autors, dem keine Schwäche, kein
Missstand der heutigen Zivilisation zu entgehen vermag.
Die einzelnen Erzählungen zeichnen sich m.E. vor allem zweierlei Hinsicht aus:
Zum einen wird darin vermieden, konventionellen Schemata und Schablonen zu
folgen. Die Erzählungen entwickeln sich zumeist auf unvorhersehbare Weise fort
und sind damit fast in jedem Augenblicke spannend. Zum anderen werden sie meist
aus dem Blickwinkel von Charakteren erzählt, die frei von altbekannten
Klischees sind und daher überaus erfrischend wirken.
Besonders hervorzuheben ist auch die Sprache, in welcher das Werk verfasst ist.
Degenhardt von Lubgast pflegt einen ganz eigenen, archaischen Stil, der wohl
heutzutage recht einzigartig ist. So darf man ihm auf jeden Fall eine
beachtliche Portion Mut und Eigenständigkeit zusprechen, auch wenn das Buch
dennoch flüssig lesbar ist. Es erfreut das Herz des Germanisten, schon längst
vergessen gewähnte, bezaubernde Wörter wie "sintemal",
"hold", "darob" etc. wieder verwendet zu sehen.
Unter den Gravamina ist zunächst die Tatsache zu vermerken, dass das Buch in
seiner schonungslosen Radikalität auf einige Leser abschreckend wirken mag. Des
Weiteren besteht gewiss auch die Gefahr, dass die Gesellschaftskritik mitunter
als reine Provokation verstanden werden kann, was natürlich der
offensichtlichen Intention des Autors zuwiderlaufen würde. Etwa ärgerlich
nehmen sich auch einige doch recht auffällige Schlampigkeitsfehler in punkto
Orthographie aus, doch sind diese, wie der Verlag auf Anfrage versicherte, in
zukünftigen Auflagen bereits getilgt.
Fazit
Insgesamt darf von einem sehr eigenständigen, ungewöhnlichen Buch gesprochen
werden, dem man die Freude des Autors am Erzählen und am Spiel mit der Sprache,
aber auch den sozialkritischen Hintergrund deutlich anmerkt. Bestseller und
leichte Unterhaltung mag man anderswo suchen.
Vorgeschlagen von Moritz Schwarz
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veröffentlicht am 12. Oktober 2007 2007-10-12 10:13:14