Die elegant gekleidete Tote, die an einem frühen Morgen des Jahres 1929 im
Englischen Garten in München gefunden wird, ist Anna Gross, die Frau eines
wohlhabenden jüdischen Geschäftsmannes und Tochter eines erfolgreichen
Münchener Bankiers. Kommissar Axel Berg entdeckt bei seinen Ermittlungen, dass
die Ehefrau aus bürgerlichem Haus gern allein ausging, mit dem Kommunismus
sympathisierte und Kontakte zu einem Mann pflegte, der möglicherweise so gut
Englisch wie Russisch spricht. Die Sicherung der Spuren am Tatort bleibt eher
oberflächlich; denn wichtig scheint Bergs Vorgesetzten Martin Volker allein zu
sein, dass der Öffentlichkeit möglichst schnell ein Verdächtiger präsentiert
wird. Besser einen Unschuldigen verhaften und kurze Zeit später wieder
freilassen als für unfähig gehalten zu werden, meint Volker. Als schon nach
wenigen Tagen eine weitere Frau im Englischen Garten tot aufgefunden wird,
fürchtet Volker, dass die von Hitlers Nationalsozialisten gegen Juden und
"Verbrecher" aufgeputschten Münchner sich durch die Morde weiter in
Panik versetzen lassen könnten. Axel Berg denkt an einen Serienmörder,
ermittelt aber auch im privaten Umfeld der Ermordeten. Er bewegt sich dabei in
der wohlhabenden Oberschicht, unter ausländischen Korrespondenten, einer
kleinen Gruppe von Exil-Russen, Kunstliebhabern und Kunsthändlern. Eine dritte
Tote passt zunächst nicht in die Serie; denn sie ist - obwohl elegant gekleidet
- Schneiderin. Professor Kolb wird als Spezialist für Kriminalistik und
Fingerabdrücke hinzugezogen; er hat sich auch mit den Theorien Freuds
beschäftigt. Bergs Abteilung gerät zunehmend unter Druck. Die
Arbeitsbedingungen sind schwierig, weil die Mitarbeiter immer wieder abgezogen
werden, um Zusammenstöße der Nationalsozialisten und ihrer Gegner zu
verhindern.
Faye Kellerman wurde nach eigenen Angaben durch die Erlebnisse ihres Vaters
als Soldat der US-Armee in Deutschland zu ihrem Buch angeregt. Als
amerikanischer Jude dolmetschte er zwischen deutschen Bürgern, jüdischen
Überlebenden des Holocaust und amerikanischen Soldaten. Die Autorin hat ihre
Hauptfigur Axel Berg ähnlich wie ihren Ermittler Peter Decker angelegt. Berg
ist Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkriegs, verheiratet und Vater von zwei
Kindern. Der junge Kommissar ist mit allen Schwächen, Ecken und Kanten
dargestellt. Er unterhält eine sexuelle Beziehung zu der jungen Jüdin Margot,
die als Büglerin in der Textilindustrie arbeitet und mit Bergs Geld weitere
Familienangehörige unterstützt. Der Ermittler fürchtet um seinen
Arbeitsplatz, gibt sich äußerlich unpolitisch, ist bestechlich und zeigt
besonders als Vater und Ehemann wenig Rückgrat. Kellerman karikiert in ihrem
Buch den deutschen Beamten und den Bayern an sich; Lokalkolorit trägt sie
hauptsächlich durch ausführliche Berichte aus Kneipen, Kellern und Biergärten
bei. Dass die Autorin in der englischen Ausgabe des Buches sichtlich mit der
Schreibung deutscher Familiennamen, mit der korrekten Bezeichnung von
Dienstgraden und Fahrzeugen kämpft, wirkt wenig Vertrauen erweckend.
Geschmacklos finde ich, wie Bergs Team "den Österreicher" Adolf
Hitler auch als Frauenmörder in Betracht zieht. In einem Buch für den
amerikanischen Markt fehlt mir hier eine exakte Abgrenzung zwischen Fiktion und
historischen Fakten. Kellermans Vorsatz, die Atmosphäre der 20er Jahre in
München, der "Hauptstadt der Bewegung" und speziell die zunehmende
Gewalttätigkeit der Gesellschaft zu beschreiben, geht zu Lasten der Aufklärung
der Frauenmorde. Axel Berg ist mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt, um
seine Ermittlungen konsequent voranzutreiben. Die Beschränkung auf die
Darstellung gutbürgerlicher Lebensverhältnisse mit einer Prise Bohème im Jahr
der Weltwirtschaftskrise vermittelt weder ausländischen noch deutschen Lesern,
warum gerade in dieser Zeit der Nationalsozialismus in Deutschland so viele
Anhänger fand.
Fazit
Kellermans wenig schlüssige Krimi-Handlung kann die Leser kaum fesseln, die
Auflösung des Falls durch überraschende Präsentation des Täters wirkt
unbefriedigend. Lokale Details aus der Zeit des beginnenden Nationalsozialismus
weisen aus der Sicht deutscher Leser Ungereimtheiten auf. Als historischer
Kriminalroman wurde das Buch von der amerikanischen Kritik sehr gelobt und als
Kellermans bester Roman bezeichnet, aus deutscher Perspektive finde ich ihn
enttäuschend.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 29. August 2007 2007-08-29 11:32:52