Der Glasbläser Piero Foscari aus Murano und zwei seiner Gesellen finden in
Venedig ein schwer verletztes junges Mädchen, das wenig später ein Kind zur
Welt bringt. Die junge Mutter überlebt die Geburt nur kurz. Piero nimmt den
Säugling mit nach Hause; denn seine Frau Bianca hatte kurz vorher ein totes
Kind zur Welt gebracht und kann das Neugeborene stillen. Das Findelkind wird auf
den Namen seiner toten Mutter Sanchia getauft und wächst in Murano zu einem
kecken, neugierigen Mädchen mit auffällig blonden Haaren heran. Als Piero und
Bianca unter geheimnisvollen Umständen ermordet werden, erinnert sich der
Geselle Pasquale an Pieros Wunsch, Sanchia eine Schulbildung zu ermöglichen. Er
bringt die 7-Jährige ins Kloster San Lorenzo nach Venedig; dort kann sie als
Educanda mit eigenem Vermögen ein relativ freies Leben führen. Die Äbtissin
Albiera nimmt Sanchia als Assistentin in die Lehre und unterrichtet sie in
Krankenpflege und Geburtshilfe. Einzige Verbindung zu Sanchias Vergangenheit ist
ein seltenes Amulett, das ihre Mutter Piero damals gegeben hatte.
Piero Foscani, Sanchias Adoptivvater, hatte vor seinem Tod von der angesehen
Familie Caloprini den Auftrag erhalten, Fensterglas für ihren Palazzo
herzustellen. Als er Sanchia mit zu seiner geschäftlichen Besprechung mit den
Caloprinis nimmt, deutet sich an, dass Sanchias Schicksal mit dem der Familie
Caloprini eng verbunden sein könnte. Als Sanchia schon im Kloster lebt, teilt
sie ihre Kammer mit Eleonora. Die junge Frau soll dort die Wartezeit verbringen,
bis der junge Lorenzo Caloprini von seiner Handelsfahrt nach Syrien
zurückkehrt. Durch eine Intrige werden Sanchia und Eleonora verraten,
verhaftet und müssen schließlich aus Venedig fliehen. Die junge Maddalena,
ebenso lernbegierig wie Sanchia im gleichen Alter, könnte Sanchias Arbeit in
einer Fortsetzung des Buches einmal weiter führen.
Sanchias, Eleonoras und Lorenzos Erlebnisse in den Städten Venedig, Florenz und
Rom des 15. Jahrhunderts werden in einem farbenprächtigen Sittengemälde von
über 1000 Seiten geschildert. Sanchia begegnet im Laufe der Handlung Dürer,
Michelangelo, Papst Alexander XI. und teilt sogar mit Lucrezia Borgia den
Badezuber. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf Sanchias medizinischer
Tätigkeit. Bis zu ihrem 21. Lebensjahr hat sich die wissbegierige junge Frau zu
einer erfahrenen und geachteten Hebamme entwickelt. Die Leserinnen erleben ihr
ungewöhnliches, aufreibendes Leben zwischen Kräutergarten, Wöchnerinnenstuben
und der ständigen Angst, eines Tages als Hexe denunziert zu werden. Sie erleben
das ausschweifende Leben der Reichen und Mächtigen in allen Einzelheiten mit,
den Ausbruch der Pest, Gewalt und immer wieder Geburten und schwere
Verletzungen.
Fazit
Wie eng ein historischer Roman sich an gesicherte Fakten halten sollte, darüber
kann man geteilter Meinung sein. Charlotte Thomas schreibt streckenweise in sehr
ausschweifendem, pathetischen Stil. Die drastischen erotischen Szenen des Buches
erhalten durch ihre pathetische Sprache unfreiwillig komische Züge. Aus dem
Mund einfacher Handwerker oder kleiner Kinder wirken pathetische Formulierungen
ebenso deplaziert. Selbst im 15. Jahrhundert wird einem Kind, das noch nicht zur
Schule geht, beim Anblick eines nackten weiblichen Unterleibs kaum der Begriff
"Ästhetik" eingefallen sein. Gerade weil ich mich beim Lesen
detailreicher Schmöker gern in medizinische und handwerkliche Einzelheiten
versenke, hätte mir in diesem Fall eine Beschränkung auf das Leben Sanchias
ohne Verstrickung in Intrigen auf höchster Ebene genügt. Um die Spannung über
mehrere hundert Seiten bis zum Ende des Buches aufrecht zu erhalten, würde dem
Roman eine Kürzung um 200 Seiten gut tun. Mit Illustrationen, Personenliste und
einem Glossar im Anhang ist "Die Madonna von Murano" sehr liebevoll
gestaltet.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 19. Juli 2007 2007-07-19 21:11:47