"Wir haben unseren Job an den Nagel gehängt, nicht unser Leben." Der
ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf ist einer der wenigen Politiker,
die einen partnerschaftlichen Generationswechsel in ihrem politischen Amt
vollzogen haben und nun ihre Erfahrungen ehrenamtlich zugunsten der Gesellschaft
einbringen. Scherf musste lange mit Parteifreunden ringen, ehe sie sich
überzeugen ließen, dass es dem Ansehen eines Amtes nutzt, wenn der Amtsinhaber
auf dem Höhepunkt seiner Leistungskraft abtritt und nicht mit den Füßen voran
aus dem Parlament getragen werden muss. Scherf, der vor seinem Bürgermeisteramt
bereits Bremer Finanzsenator und Senator für Jugend und Soziales war, nahm nach
einem kurzen Pensions-Praxisschock Interessen wieder auf, zu denen ihm zuvor
meist die Zeit gefehlt hatte. Er paddelt, segelt, radelt, singt im Chor, lernt,
hält Vorträge und stellt das Modell seiner persönlichen
Senioren-Wohngemeinschaft auf allen denkbaren Fernsehkanälen vor. Die
Beschreibung der eigenen Lebenssituation in einer Wohngemeinschaft bildet den
Kern des Buches, um den Scherf Berichte über weitere Wohnformen im Alter, ein
Integrationsprojekt per Kleingarten und jene Nachbarschafts-Projekte Bremer
Wohnungsbaugesellschaften rankt, die eine Überalterung einzelner Stadtteile
vermeiden sollen.
Scherfs erwachsene Kinder hatten ihre Eltern schon immer für pubertäre
Romantiker gehalten. Wer so viele soziale Projekte unterstützt wie das Ehepaar
Scherf, muss tatsächlich einen kräftigen Hang zum Sozialromantiker haben.
Nicht nur gegenüber seinen Enkeln hat Scherf im Alter deutlich an Gelassenheit
gewonnen. Der Pensionär kann wenig mit Autoren wie Schirrmacher anfangen, die
polarisierend einen grundlegenden Interessengegensatz zwischen den Generationen
konstruieren. Für einen drohenden "Clash of Generations" sieht Scherf
zur Zeit keinen Anlaß. Der Autor betrachtet aus seiner Perspektive als leidlich
gesunder, gebildeter, wohlhabender Mittelschichtangehöriger die soziale
Situation in Deutschland sehr optimistisch. Enkel, die bei Opa im Altenheim ihre
Hausaufgaben erledigen, sind bisher noch Utopie. Auch die praktische Umsetzung
generationenübergreifender Projekte wie die Bremer Bürgerhäuser und das Ziel
der selbstgesuchten Wahlfamilie für Alleinstehende stecken zur Zeit leider noch
in den Kinderschuhen. Scherf setzt sich engagiert mit dem auf dem deutschen
Arbeitsmarkt herrschenden Jugendkult auseinander. Seine Hoffnung, dass
zukünftig mehr ältere Menschen ihre Kompetenzen in der ehemaligen Firma oder
ehrenamtlich für das Gemeinwohl einbringen werden, relativiert Scherf selbst
mit seinem Bericht über die häufig komplizierte Übergabe mittelständischer
Betriebe an die nächste Generation. Bevor die "Erfahrung älterer
Arbeitnehmer" stärker als bisher genutzt werden kann, muss sich viel
ändern - und dazu ist noch rege Talkshow-Tätigkeit des Autors nötig. Scherf
fordert, dass wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch die
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf dringend geregelt werden müsse.
Fazit
Henning Scherf vermittelt seinen Lesern am eigenen geglückten Beispiel, wie man
offen mit dem Altern und der Pensionierung umgehen und "geschenkte"
Lebensjahre zum Wohle der Gesellschaft sinnvoll nutzen kann. Sein Blick in die
Zukunft der deutschen Gesellschaft wirkt stets optimistisch. Beeindruckt hat
mich die selbstkritische Sicht des Autors auf die eigene Lebenssituation und wie
soziales Engagement sich als roter Faden durch sein Leben zieht.
Das in großem Schrifttyp gedruckte Buch entstand in Zusammenarbeit mit einer
weiteren Autorin - auch schriftlich nimmt der "lange Oma-Knuddler aus dem
Norden" kein Blatt vor den Mund.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 12. Juli 2007 2007-07-12 15:12:20