Wahre Philosophie und kosmischer Naturbegriff
Was die heute dominierende wissenschaftliche Zunft ausmacht, läßt sich leicht
benennen. Sie besitzt fertige Resultate und stellt sich und ihren Mitläufern in
der Megamaschine des Opportunismus Aufgaben im Rahmen vorgegebener
profitversprechender Interessensgebiete. Aber diese "Wissenschaft"
kennt keine eigentlichen Probleme mehr. Wahre Probleme nämlich und keine
Simulation von unerheblichen Fragestellungen gibt es nur für solche
philosophischen Menschen, die für und über sich, für die Welt und über sich
als ausschlaggebenden Teil derselben und nicht für ein nutzbringendes
Götzenbild denken. Historisch betrachtet zählen zu Ihnen Arthur Schopenhauer,
Otto Weininger, Oswald Spengler oder Philipp Mainländer. Sie alle lehnten es
aus tiefster Überzeugung ab, an staatlichen Hochschulen zu lehren.
Und so liegt es in der Gemütslage der Philosophen als tiefere Seher globaler
Probleme begründet, dass ihnen zugunsten fundierter Lösungsvorschläge
agitatorisch-aggressives Auftreten schwerer fällt als den Vertretern profaner
Tagespolitik. Sie sind schlichtweg umfassendere Denker, erwägen integral und
vertreten die "Liebe zur Weisheit" - vor allem was das Bewahren von
Menschsein, Kultur und Erde angeht. Johannes Heinrichs, bis 2002 Professor für
Sozialökologie an der Humboldt-Universität Berlin, zählt ohne Zweifel zu
ihnen. Sein nunmehr wieder erschienenes Buch "Ökologik" von 1997 hat
an Aktualität nichts eingebüßt, sondern in erstaunlichem Maße gewonnen.
Damit kommt dieser Neuerscheinung eine große Rolle zu, denn er beschreibt darin
die Komplexität des Natur-Begriffs zugunsten einer denkerischen Überwindung
der Kluft zwischen akademisch etabliertem Denken und den
spirituell-ökologischen Ansätzen der New-Age-Literatur: Die Menschheit ist
dazu aufgerufen, sich auf die Kräfte einer ganzheitlichen Vernunft zu besinnen,
die sich in Politik und Wirtschaft sozial- und umweltverträglich äußern
muss.
Rudolf Bahro (1936-1997), Bewunderer des Buches, sprach sich dementsprechend
für ein Bündnis zur Vermittlung dieses Anliegens in die Tiefenschichten des
gesellschaftlichen Bewusstseins hinein und für eine "Tiefenökologie als
struktureller Naturphilosophie" aus. Er meinte damit, dass eine
öko-logische Beschäftigung mit der Natur eine solche der
"Natur-Mensch-Beziehung" sein muss und damit auf einer Ökologie des
Sozialen zu beruhen habe. Heinrichs bietet zu genau diesen Fragen im
vorliegenden Buch Lösungsvorschläge dar, die sich abseits der vorteilhaft
integrierten und damit leicht korrumpierbaren "Wissenschaftlichkeit"
befinden. Der Leser bekommt anhand drängender Fragen aufzeigt, worin
eigentliches Denken heute gipfeln muss - solange es den Anspruch hat,
"wahres Denken" zu sein und dieses nicht mit Komfort und
Profitmaximierung verwechselt. Leon Bloys (1846-1917) bester Roman "Die
Armut und die Gier" (1897) drückte im Zeitalter des "renouveau
catholique" in Frankreich jene Aufrichtigkeit und unbeugsame Geradheit des
Denkens durch die schriftstellerische Kraft bereits früher aus und stellte sich
damit auf die Seite der unabhängigen Lehre, der Ästhetik einer erhabenen
Lehre.
Der Autor der Öko-Logik nun erinnert daran, dass eine moderne Gesellschaft nur
mit einer Sozialordnung funktioniert, die auf eine derartig wahrheitsorientierte
und ethische Denkleistung gegenüber Mensch und Natur vertraut. Damit eröffnet
sich die zentrale politische Dimension des Werkes: Die Einrichtung eines
"Nachhaltigkeitsrates" oder "Nationalen Ethikrates" spricht
für Heinrichs von dem Bedarf an Gestaltung von den natürlichen Grundlagen her,
wobei die demokratische Legitimation solcher Gremien zweifelhaft bleibe. Die
These des Autors ist hingegen: Das Naturproblem ist ein Gesellschaftsproblem.
Genau dafür seien die ökologischen Technokraten - gerade auch innerhalb der
profillos gewordenen Grünen Partei - bisher blind. Sie stehen damit in kausaler
Mittäterschaft zu den Umweltschändern oder zu solchen Geld- und
Wirtschaftsreformern, die nicht die gesellschaftlichen, demokratischen
Voraussetzungen ihrer "edlen" Bestrebungen genug reflektieren und
daraus die nötigen praktischen Folgerungen ziehen. Also: Keine philosophische
Theorie ohne den unbedingten Anspruch ihrer realen Bewandtnis in Politik,
Wirtschaft oder Ökologie, was den heutigen Universitätsphilologen mit ihrem
Mumienkult von Platon bis Marx fremd sein mag. Schon der Politologe Iring
Fetscher verwies aber darauf, dass es Marx ausdrücklich um die praktische
"Bewahrung der Ökosphäre" ging. Nicht Maximalkonsum, sondern
maximale Freiheit zur praktischen Entwicklung menschlicher Fähigkeiten im
Hinblick auf die Natur ist das Anliegen wahrer Philosophie.
Für eine "nachhaltige", besser kreislauffähige Bewirtschaftung der
Natur bedarf es deshalb für Heinrichs einer kreislauffähigen Gesellschaft. Die
Gegenseitigkeit der Reflexion und die Verschränkung der Intentionen der
Handelnden, die das bisher vermisste Prinzip des Übergangs vom Handeln zum
sozialen System liefert, hat dabei einen quasikybernetischen Effekt: Diese
sozialen Systeme erstreben einen stabilen Gleichgewichtszustand durch
Rückkoppelungen innerhalb ihrer Subsysteme. Entsprechend muss auch die
Wirtschaft als zirkulär-kreislauffähig und nicht als alleiniger neoliberaler
Wettkampf definiert werden. Die Vierfachheit des Sozialen bei Heinrichs - die
differenzierten Subsysteme Wirtschaft, Politik, Kultur und Religion - ist der
Ausgangspunkt jener rückgekoppelten Kreislauffähigkeit, deren Erwägen
Ergebnis konstruktiven Demokratiebewusstseins jenseits parteigebundener Dogmatik
ist. Ändert sich nichts an oberflächlichen "Ruck"-Reden, so bleiben
nach Heinrichs auch soziale und ökologische Nachhaltigkeit im Handeln der
Menschen unbewältigt.
Der Autor geht nun einen Schritt weiter und betrachtet den Mikrokosmos Mensch.
Er stellt im Mittelteil dar, wie sich die erwähnten vier Sinn-Elemente
menschlichen Handelns auf die drei Seinsstufen Körper, Geist und Seele
beziehen. Es wird damit gezeigt, dass aus der Durchdringung dieser drei
Wesensbestandteile eine siebenstufige Konstitution des Menschen resultiert - mit
spannendem Ergebnis: Der Autor plädiert für eine "Ökologie des
Denkens", denn was Natur ist, offenbart sich zuerst im Menschen, in seinem
Denken.
Es ist hier erfreulich, dass jemand sich die Mühe macht, diese elementaren
Zusammenhänge verständlich zu beschreiben. So kommt doch gerade der folgenlose
Ersatzcharakter von Ethik unter anderem darin zum Ausdruck, dass von vielen
Imperativen (bzgl. Zinssystem des Geldes, Behandlung der Tiere, Verseuchung von
Böden, Arbeitslosigkeit) abgelenkt wird durch komplizierte Gedankengänge, die
an elementaren Selbstverständlichkeiten vorbeigehen. Sie sind damit selbst
ablenkungsideologischer Ausdruck der Trennung des Menschen von der Natur.
"Wo das Sollen vorherrscht, herrscht die Entzweiung von Pflicht und
Neigung, von Kopf und Herz, von Ich und anderen, von Mensch und Natur" und
nicht zuletzt - so ließe sich fortsetzen - fehlt dann die Erkenntnis, dass
Sollen zuvorderst eine Qualifikation subjektiven Wollens ist.
So richtet sich das Buch vor allem an die Menschen, welche mehr über sich und
über erkenntnistheoretische Zusammenhänge wissen möchten, als es die
alltägliche "Wissenskultur" zu vermitteln in der Lage ist. Aus der
anthropologischen Siebenstufung hingegen ergibt sich ein kosmischer Naturbegriff
und "tiefenökologische" Aufgabenstellungen. Hier ist der Leser zu
fragen geneigt, warum diese ähnlich den Einsichten Silvio Gesells in Bezug auf
zinsfreie Geldwirtschaft zwar so genial einfach sind, aber niemals in Zeiten der
Verschwendung auf der einen Seite und des millionenfachen Hungertodes sowie
biologischen Artensterbens auf der anderen Seite zum Wohle aller verwirklicht
werden. Spätestens hier entpuppt sich Heinrichs’ Grundansatz als goldrichtig,
als Schlüssel zur Verwirklichung durch tatsächliche Bewusstseinsveränderung.
Wir müssen also folgerichtig bei der Reform des politisch-sozialen Systems
anknüpfen, und zwar aus überpolitischen, gesamtsozialen und nicht partikularen
Einsichten heraus, um von da aus eine "natürliche", vernunft- und
menschengerechte Wirtschaftsordnung durchzusetzen. Das Eintreten für eine
naturverträgliche Ökonomie muss nach Heinrichs deswegen auch vom Einsatz für
eine strukturelle Weiterentwicklung der Demokratie getragen sein, was er bereits
in "Revolution der Demokratie" (2003) ausführlich darlegte.
Mag man nun seine Überlegungen als utopisch abtun - man reduziert damit
zugleich immer auch das ganzheitliche Denken überhaupt sowie das eigene
Menschsein, um dasselbe sich dann allenfalls im pseudoökologischen
Narrenkarussell austoben zu lassen, was freilich wie bisher ohne Effekt bleiben
wird. Und so verwundert es nicht, dass der Autor in seinem Buche für eine freie
Marktwirtschaft die effektive Unterordnung wirtschaftlich-technologischer
Eigengesetzlichkeit unter die politische Entscheidungsebene fordert, um die
letztere nicht von der wirtschaftlichen Ebene her bestimmen zu lassen. Dies
trüge doch zur Verstetigung des ideologischen Scheins der von technokratischen
Richtlinien des permanenten Wachstums bestimmten "freien
Marktwirtschaft" bei. Freilich, die Ausrichtung auf größtmöglichen
Gewinn und Wachstum mag betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, für ein nach
philosophisch durchdachten Maßstäben intaktes Gesellschaftsgefüge jedoch ist
sie in der Tat kein dauerverträgliches Konzept der Zukunft. Riesige Geldmengen
und erzwungenes Wachstum in Permanenz lassen vielmehr ein Bewusstsein für die
eigentlichen Bedürfnisse der Menschen und erst recht diejenigen der Umwelt
verkümmern und spitzen die gesellschaftspolitischen Probleme zu. Diese
reduzieren sich leider zusehends nur noch auf Geldverteilungskonflikte.
Zur umfassenden Erkenntnis dieser Zusammenhänge sieht Heinrichs das spirituelle
Naturerleben als eine "Vor-Einstellung" für notwendig an. Eine
spirituelle, aufs Ganze des Lebens gehende Grundeinstellung müsse jeder
entwickeln können. Das Einverständnis mit dem eigenen Leben bedeutet also
immer auch das "Einverständnis mit Leben überhaupt." Die Frage
"Was ist naturgemäß?" ist - so der Autor - nur vor dem Hintergrund
des Menschen als Medium der Naturerfahrung zu beantworten. Die Ganzheit von
Körper-Seele-Geist betrifft den Menschen als Handelnden: "Nur der
integrale und integre Mensch ist zu einer integralen Ökologie fähig!"
Vor dem Hintergrund derartig fundmentaler Einsichten lässt sich in Kürze
resümieren: Heinrichs’ Tiefenökologie erstrebt einen Friedensschluss des
Menschen mit der Natur jenseits der Ideologie unbegrenzten Fortschritts, um
ähnlich wie Ludwig Klages (1872-1956) in "Mensch und Erde" (1920) die
Entgegensetzung von Kosmos und Mensch, von Naturwissenschaften und
Geisteswissenschaften aufzulösen und über eine pragmatische ökologische Ethik
hinauszugehen. Klages betont in selbiger Schrift: "Worauf aber der
Fortschrittler stolz ist, sind bloße Erfolge, sind Machtzuwachse der
Menschheit, die er gedankenlos mit Wertzuwachsen verwechselt, und wir müssen
bezweifeln, ob er ein Glück zu würdigen fähig sei und nicht vielmehr die
leere Befriedigung kenne, die das Bewußtsein der Herrschaft gibt." (Ebd.,
2)
Der von Heinrichs nun ausgeführte Gegensatz zu jener Diagnose des
"modernen" Menschen bei Klages führt dann zur benannten
"Ökologie des Denkens". Sie ist Teil menschlicher Innenwelt, deren
Verschmutzung und Vernachlässigung die weitreichendsten Folgen für den Zustand
der Außenwelt hat. Wir können im Sinne dieser Botschaft auch umgekehrt mit
Schopenhauers Ethik des Mitleids sagen: Mit der Natur oder den Tieren beschmutzt
oder schändet der Mensch zugleich immer auch sich selbst, und - wieder mit
Heinrichs - erst im Denken vollzieht der Einzelne den Übergang von seiner
Bewusstseinsverfassung zur ethischen Gesellschaftsverfassung, welche einer
gesunden Natur aktiv Rechnung tragen kann. Alle Elemente sind unmittelbar
verknüpft und müssen zur Beendigung gegenwärtiger ökologischer
Selbstvernichtung in Rückkoppelung zueinander stehen. Dieser Aspekt, die
Wiedergewinnung eines uralten kosmischen Bewusstseins, bedeutet dann
Ökologische Spiritualität und nicht wiederum vom Markt instrumentalisierte
einseitige Öko-Mode oder Öko-Religion.
Das Besondere des Werkes liegt in der Tat darin, dass letzte Grundstrukturen des
Seienden (Ontologie), ja gar theologische Fragen als Voraussetzungen unserer
Naturbegegnung in Relation zueinander gesetzt werden. Mag damit zwar die Gefahr
drohen, aus den praktischen Fragen des Weltzustandes in die Höhen der Theorie
auszuscheren - so gehört doch für jeglichen Wandel des Denkens gerade die
ohnehin in jedem Menschen intuitiv gespürte Entschlossenheit dazu, die eigenen
Ansichten zu hinterfragen und praktisch zu verändern. Der Schlüssel zur Praxis
liegt in der erfahrbaren und zugelassenen Intuition des Einzelnen. Der Leser
empfindet bei der Lektüre die im Titel steckende Frage womöglich als Zumutung,
meint er doch, bereits fortschrittlich und naturfreundlich zu sein. Der Schritt
zum bewussten Naturdenken aber ist damit noch nicht vollzogen. Wenn Menschen
"nur" bereit sind, ihre Augen, Ohren und Herzen vor dem Leiden der
Natur, dem Wahn der Verschwendung von Ressourcen nicht zu verschließen, fehlt
noch der letzte Schritt, nämlich diese Erkenntnis zu leben und ihr Fundament zu
begreifen, dass wir zudem in der Natur unser eigenes Antlitz sehen. Erst das
befähigt, aus dieser "prinzipiell unlösbaren Verbindung mit allem, was
lebt" empathisch tätig zu werden.
Ohne Zweifel: Freiwirtschaft, Humanwirtschaft oder Fairconomy verfolgen das
Ziel, diese Perspektive im wirtschaftlichen Bereich zu stärken. Dennoch gehört
unabdingbar ein Komplementärbewusstsein jener Ökologischen Spiritualität
dazu. Sie ist die Voraussetzung auch dafür, dass die gesellschaftszerstörende
Umverteilung des Geldes, die aus Geld ständig mehr Geld macht zugunsten jener,
die bereits viel Geld besitzen, weitgehend aufhört. Umweltschonende und
gemeinschaftsstärkende Investitionen werden wieder "rentabel",
ethisches Verhalten in der Wirtschaft auch gegenüber der Natur wieder
erstrebenswert - wäre doch eine solche Investition in die Natur zugleich eine
in den Menschen selbst. Erreichbar aber sind diese Ziele nur, wenn die
Tagespolitik, wie es schon Platons Anliegen war, wieder mit offenen Ohren den
eigentlichen Philosophen zuhört, welche diese Sichtweise ohne Rücksicht auf je
opportune Befindlichkeiten artikulieren.
Drei Elemente nämlich machen diesen geistigen Charakter aus, der gerade
aktuelle Probleme in einer Zeit erkennt, wo absolute Lösungen permanent
konjunkturell simuliert und nicht mehr strukturell geboten werden: 1. Das
Mystische mit der Forderung nach dem Ganzen, 2. Das Systematische mit dem
Anspruch der theoretischen Entfaltung von neuen Ansätzen und 3. Das Element des
tieferen Wissens als Anspruch auf Ableitbarkeit in die politische,
wirtschaftliche und ökologische Praxis hinein. Diesen Prinzipien trägt das
Buch von Heinrichs vollends Rechnung und steht damit in längerer
geistesgeschichtlicher Tradition in Deutschland. Der geneigte Leser beendet die
Lektüre mit dem Eindruck, in der großen Welt unmetaphorisch das Bild des
Eigenen, des Inneren zu sehen. Damit beschreitet er bereits den Weg hin zu
geistiger Fruchtbarkeit, denkerischer Freiheit, ganzheitlicher Spiritualität
und wahrer politischer oder wirtschaftlicher Kultur.
Daniel Bigalke, Dipl.-Pol.
Fazit
Dieses Buch eist den Weg zu einer wirklich ökologischen und damit in Zukunft
dringend gebotenen Denkweise des Menschen.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 23. Juni 2007 2007-06-23 12:54:46