Vor ein paar Jahren machte der Hamburger Anglistikprofessor
Dietrich Schwanitz mit seiner
"Bildung - Alles was man wissen muss" von sich reden. Darin machte er
in unterhaltsamer Weise auf die Grundlagen unserer Kultur aufmerksam. Oder
zumindest auf das, was ein Hamburger Literaturwissenschaftler dazu zählt. Es
verwundert nicht, dass so etwas banales wie die Naturwissenschaften keineswegs
dazu gehören. Sie schließt Schwanitz ebenso arrogant wie kategorisch aus dem
Kanon seiner umfassenden Bildung aus.
Der Titel von Ernst Peter Fischers neuestem Buch ("Die andere Bildung - Was
man von den Naturwissenschaften wissen sollte") lässt sofort an Schwanitz
denken. Das ist wohl auch so gewollt, denn schon auf der Seite zwei springt
einem dieser Name entgegen. Tatsächlich ist die "andere Bildung" des
Konstanzer Professors für Wissenschaftsgeschichte eine direkte Antwort auf das
Werk seines Hamburger Kollegen.
Es gehört keine große Weisheit dazu, zu erkennen, dass die Wissenschaft in
nicht geringerem Maß den Ort und das Bild des Menschen bestimmt als die
"große" Philosophie. Um das zu beweisen, führt Fischer durch die
Geschichte der Naturwissenschaft - die beiden großen Stationen auf seiner Reise
sind die Zeit der Renaissance und das 19./20. Jahrhundert. Auf nur wenige
Schlüsselthemen aus der unüberschaubaren Fülle von wissenschaftlichen
Disziplinen wirft Fischer seinen intelektuellen Scheinwerfer: Die Physik des
Mikro- und des Makrokosmos, sowie Evolution und Genetik.
In meist leicht nachvollziehbaren Erklärungen schildert er, wie es zu den
großen wissenschaftlichen Durchbrüchen wie Kopernikus‘ Erkenntnis der
Bewegung der Planeten und Plancks Einsicht in die Sprunghaftigkeit der
Energieniveaus kam. Vor der einen oder anderen mathematischen Formel schreckt
Fischer auch nicht zurück, trotz des verlegerischen Grunsatzes, dass jede
Formel in einem Buch dessen Auflage halbiert. Doch keine Angst, die wenigen
Ausflüge in die Welt der mathematischen Symbole sind eher als Illustration
gedacht und können übersprungen werden ohne Gefahr zu laufen, die Aussage des
Buches nicht zu verstehen.
Bei der bloßen Aneinanderreihung der Erreignisse belässt Fisches es nicht,
gleich zu Anfang konfrontiert er den Leser mit Problemen der menschlichen
Wahrnehmung und dem Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. Wer also von diesem
Buch ein naturwissenschaftliches Kuriositätenkabinett a la "Galileo"
oder "Planetopia" erwartet, der wird enttäuscht.
Oder überrascht. Fischer versteht es nämlich, die wenigen wissenschaftlichen
Umwälzungen, die er auswählt so in einen erkenntnistheoretischen Zusammenhang
zu stellen, dass selbst ich als zwar wissenschaftlich interessierter, aber doch
laienhafter Leser es verstanden habe. Ich hatte schon lange den Verdacht gehegt,
dass die Einsichten zu der die Erforschung des sehr Kleinen (Elementarteilchen)
und des sehr Großen (Kosmos) führen, an den Grenzen der menschlichen
Verstandes rütteln. Fischer jedoch drückt dies in leicht verständlicher
Sprache aus und bringt so ein wenig Licht in die kognitive Nische zwischen
Mikro- und Makrokosmos in dem mein kleiner Geist operiert.
Sehr aufschlussreich fand ich den Abschnitt über das Leben, wo Fischer nach dem
Kapitel über die Evolution und die Revolution, die dieses Konzept ausgelöst
hat, deutlich macht, dass der Genetik-Fanatismus der neuesten Gegenwart als
Ausdruck einer deterministischen Sehnsucht des menschlichen Verstandes
verstanden werden muss, dem in dieser Beziehung schon von Heisenbergs, Bohr und
Co zu viel abverlangt wird. Und dass ist keine reine Polemik, sondern wird
gestützt von harten Fakten der allerneuesten Forschung. Wissenschaftler haben
nämlich in den vergangen zwei Jahren herausgefunden, dass Gene unser Leben
nämlich gar nicht in der simplifizierenden Weise bestimmen, wie es gern von den
Medien dargestellt wird. Dieses Kapitel sollte Pflicht Lektüre für alle sein,
die in der Gen-Debatte mitreden wollen. (Und für alle, die in Biotech-Aktie
investieren möchten.)
Wie gesagt, Fischers Ziel ist nicht die bloße Beschreibung. Sein größtes
Anliegen ist das Plädoyer für eine neues Bündnis von Kunst und Wissenschaft,
die sich seit der Descartes (Trennung von Geist und Materie) und Kopernikus
(Trennung von sinnlich wahrnehmbaren und verstandesmäßig Erfassbaren) immer
weiter voneinander entfernt haben und inzwischen als unvereinbare Gegenspieler
angesehen werden: Fischer möchte beide als nicht nur gleichberechtigte sondern
auch als sich ergänzende und bereichernde Partner verstanden wissen.
Fazit
Fischers Buch ist in diesem Sinne zwar als Antwort auf Schwanitz beschränktes
Bildungsverständnis zu sehen, ergänzt dessen Buch aber nicht einfach nur um
die fehlenden naturwissenschaftlichen Grundlagen. Dazu geht es zu wenig ins
Details. Fischer leistet aber viel mehr - er ordnet ein und bewertet und zeigt
wie nicht nur die sogenannte Kultur die Art bestimmt in der Wissenschaft
betrieben wird, sondern dass dieser Mechanismus auch in umgekehrter Richtung
wirkt.
Ansonsten gilt: Wer schon immer mal wissen wollte, was es mit dieser
Quantenmechanik auf sich hat, was Einstein mit seiner Realtivitätstheorie
wirklich gemeint hat, oder wie es passieren konnte, dass sich aus Affen halbwegs
vernunftbegabte Wesen entwickelten und auch vor den erkenntnistheoretischen
Zusammenhängen nicht zurückschreckt, die all diese Fragen verbinden, der
sollte sich schleunigst "Die andere Bildung" zulegen. Absolut
empfehlenswert.