Die Frage der Phänomenologie der Macht wird an Bedeutung gewinnen. In Zeiten
politischer Krisen und arbeitsmarktpolitischer Rezession wird das Problem von
Ursprung und Leitidee der politischen Macht und Staatsräson gewichtig.
Behält ein formalistischer Indifferentismus die Oberhand und schwindet das
Vertrauen in die politische Führung, weil diese die Integration der Regierten
nicht mehr zu gewährleisten befähigt ist, so liegt die Frage nach
fundamentalen Alternativen und die des Behauptens und Bestreitens von
institutioneller Macht auf der Hand.
Das vorliegende Buch des Teams eines entsprechenden Sonderforschungsbereiches
der TU Dresden hat in einem voluminösen Werk mit zahlreichen Beiträgen diese
Fragen anhand spezifischer Beispiele beleuchtet. Man stellt fest, daß sich
Macht über eine implementierte normative Dimension von Sprache und politischem
Selbstbild behauptet. Macht stützt sich auf die permanente Wiederkehr
herrschaftsaffirmativer und oftmals wenig reflektierter Begriffe unter dem
Gewand der vermeintlichen Reflexion, d.h. dem Gewand dessen, die eigentliche
Alternative zu sein. Nur ist ein solches Verhalten, etwa der Pauschalvorwurf
"Extremismus", selbst das Gegenteil einer jeden sinnvollen politischen
Reflexion. Daß sich dennoch dieses unreflektierte Selbstbild von Staaten - auch
entgegen gewissen neuen Ansprüchen sich verändernder Vorstellungen im
dynamischen Wechsel der Generationen - permanent und monoton zu reproduzieren
versucht, liegt auf der Hand und ist historisch immer wieder nachvollziehbar.
Ob das einer "identitätsstiftenden"Standardisierung dient oder
vielmehr, wie in der deutschen Nachkriegsdemokratie nach 1945 geschehen,
präskriptive Regeln zur Relativierung konkreter und vorausgehender Identität
einführt, sei dahingestellt. Institutionelle Ordnungen jedenfalls sind
konstitutiv darauf angewiesen, Geltung aus sich heraus zu erzeugen, um nicht
tautologisch allein durch die Faktizität ihres Bestehens zu gelten.
Auf eine phänomenologische Lageanalyse, wie sie der Politologe Hans-Joachim
Arndt entwarf und forderte, wurde nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch
in der DDR kaum Rücksicht genommen.
Das und noch vieles mehr aus anderen Lebensbereichen, etwa der standardisierten
Machtverteilung im Eheleben, macht diesen Sammelband erstaunlich lesenswert. Der
politologische Denker erwartet selbstverständlich einen Rekurs auf die
Institutionenlehre Arnold Gehlens. Dieser erfolgt leider nur punktuell. An der
einzigen Stelle mit dezidiertem Rekurs auf Gehlen wird greifbar, daß historisch
gesehen oft der Glaube an die Alternativlosigkeit von Institutionen erzeugt
wurde - wie in der DDR. Sehr spannend ist hier die wertfreie Rezeption Gehlens
am Beispiel des "antifaschistischen" Legitimationskonstrukts der DDR.
Man darf auf eine ebensolche wertfreie Exegese im Zuge der in der Bundesrepublik
expandierenden "herrschaftsfreien" Rigidität des
"Antifaschismus" hoffen. Das Buch erscheint zur richtigen Zeit. Der
Leser erkennt nunmehr: Die Staatsräson eines Landes trägt in sich immer und
notwendig die Potentialität des Auch-Anders-Sein-Könnens - wenn es Wille und
Umstand auch entgegen den scheinbaren Dominanzstrukturen der herrschenden
Ideologie erforderlich machen.
Fazit
Ein Buch für politische Selbstdenker, die die Strukturen der Reproduktion des
Immer-Gleichen durchschauen möchten.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 19. Juni 2007 2007-06-19 09:21:25