"Beharren auf der Substanz des Deutschen" - das könnte auch die
Maxime des scharfen Beobachters Botho Strauß sein, der mit seinem Spiegel-Essay
"Anschwellender Bocksgesang" (1993) eine Absage an die
nachkriegsdemokratischen Konventionen der Vergangenheitsbewältigung
formulierte. Es ging ihm um das "Unsere", das durch die Dominanz
überbordender Moralität der Bedeutungslosigkeit preisgegeben werde.
Umso begrüßenswerter ist diese Studie von Michael Wiesberg, die das Werk des
Mystikers und Beobachters gesellschaftlicher Fluktuationen - dem eigenen
Anspruch nach jenseits vom linksliberalen juste milieu - rekonstruiert. Nach
einem werkbiographischen Überblick geht Wiesberg auf philosophische und
poetologische Programme ein, die er für "unabdingbar für die Einordnung
des Werkes" (7) hält. Diese Einbettung des Denkens von Botho Strauß wird
umsäumt von Ausflügen zu Descartes, Heidegger oder Georg Steiner. Spätestens
hier wird deutlich, daß Wiesberg nicht auf eine umfassende philologische
Interpretation seiner Texte und Theaterstücke aus ist, sondern auf die
politische Einordnung von Strauß in die Kontinuitäten der deutschen
Geistesgeschichte, worin Hölderlin - so Wiesberg - eine zentrale Rolle
einnehme.
Entsprechend räumt Wiesberg einer Beschreibung der Bekämpfung der
"sukzessiven Atomisierung des Bewußtseins" (45) in Strauß’ Werk
viel Platz ein, so zum Beispiel im zentralen Kapitel zum
"Bocksgesang". Unter Verweis auf René Girards Theorie der Gewalt
(98-103) wird dem Leser schnell deutlich, daß der Essay von Strauß keineswegs
die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit an sich zu relativieren
trachtete, sondern daß es ihm um eine Kritik an ihren vorteilhaft integrierten
und wenig reflektiert arbeitenden Wortführern geht. Wiesberg selbst nannte sie
in einer späteren Apologie seines Buches in Anlehnung an Strauß
"Sachwalter der Dauerbewältigung". Und in der Tat sind inzwischen
unabhängig von Strauß, der seine Absichten bereits in dem Roman "Der
junge Mann" (1984) verdeutlichte, zahlreiche Autoren dieser Intention
gefolgt und haben die Geschichte umfassender reflektiert: Jörg Friedrich, Ernst
Nolte oder bekanntlich selbst Günter Grass. Fast wünschte man sich beim Lesen,
daß Wiesberg das Problem des diesen Autoren und insbesondere Strauß
vorgeworfenen "Revisionismus" näher betrachtet. Ist doch
Revisionismus entsprechend der Revisionsabteilung in Wirtschaftsunternehmen eher
konnotiert mit Rechtschaffenheit, Aufklärung von Mißständen und umfassender
Suche nach verborgenen Fehlern innerhalb der Funktionsweise eines ökonomischen
oder gesellschaftlichen Ganzen. Revisionismus ist nicht per se Essenz ignoranter
Intentionen, vielmehr terminologisch interpretierbar. Es gibt also Anhaltspunkte
für die von Wiesberg zurecht konstatierte "Ästhetik der
Restauration" (71/77) in Deutschland. Ihm gelingt es, die Phänomene von
substanzloser Jugendlichkeit, brutalem Haß der "Skinheads" und
grassierendem Nihilismus, welche von Soziologen lediglich unter
"Postmodernität" oder "Pluralismus" subsumiert werden,
über den Rekurs auf Strauß’ Werk in ihren Ursachen tiefgründiger zu
beschreiben: Ursache dafür sei auch infolge instrumentalisierter
"Vergangenheitsbewältigung" der Mangel an einem durchaus normativen
Kulturbegriff, der in der deutschen Geistesgeschichte steht.
Wiesberg bietet ein politisch, philosophisch und ästhetisch verortetes Bildes
von Botho Strauß an. Nachdem er den Geist des Autors, seine intentio auctoris -
gleichgültig ob dies so manchem auf ausschließliche Textexegese bedachten
Literaturwissenschaftler unzulänglich erscheinen mag - erfaßt hat, bilanziert
Wiesberg: "Wie für Hegel ist auch für Heidegger die Dichtung die höchste
Form der Kunst. Sie kann dem Menschen das Volle seines Wesens zurückgeben, das
ihm durch die Technik genommen wurde." (118). Vortrefflicher ist Strauß im
Sinne einer umfassenden Hermeneutik zum Verständnis seines Gesamtwerkes
schwerlich zu charakterisieren. Wer für ein sensibles Verständnis von
Literatur und Politik nicht das denkerische Differenzierungsvermögen aufbringt,
sollte das Buch meiden, müsste sich aber im Gegenzug, gemäß Strauß’
Apologie seines "Bocksgesanges" von 1994, einen Barbaren oder
politischen Denunzianten schimpfen lassen.
Fazit
Wiesbergs Studie zu Botho Strauß beschreibt diesen Autoren so, wie er
verstanden werden möchte, ohne ihn anhand wesendfremder Kategorien lediglich
bewerten zu wollen.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 19. Juni 2007 2007-06-19 09:21:25