Der Leser erhält in der Neuauflage dieses Buchs einen charakteristischen und
theoretisch fundierten Überblick zu den Diagnosen der kulturellen und sozialen
Grundprobleme, welche sich an der Basis bestehender Wirtschafts- und
Gesellschaftsformen unserer Zeit anhäufen. Es wäre kein Buch von Johannes
Heinrichs, wenn nicht auch hier das Plädoyer für eine an der Wurzel beginnende
und damit im konstruktiven Sinne radikale Umgestaltung dieser
Gesellschaftsformen dargeboten wird.
Heinrichs stellt eine Theorie der natürlichen Wirtschaftslehre vor und kann
dafür von seinen zahlreichen Einzelpublikationen zehren, die in einer
umfassenden Bibliographie aufgelistet sind. Er bespricht zunächst die Entwürfe
seiner Vorgänger und geht dafür auf den Begründer der "Natürlichen
Wirtschaftsordnung" Silvio Gesell ein, der zu Unrecht bei den
Freiwirtschaftlern oft in Konkurrenz zu Marx gestellt würde (32ff.). Heinrichs
ist es deshalb ein Anliegen, den positiven Zusammenhang mit Karl Marx
herzustellen (Kapitel 12). Schnell wird deutlich, daß es ihm um eine
Versöhnung der beiden Ansätze geht, wenn er betont, daß es den heutigen
Geldreformen im Sinne Gesells inzwischen zu billig sein sollte, sich an einer
angeblichen "Verstaatlichung" bei Marx aufzureiben, der von
"Vergesellschaftung" abzusetzen sei und ebenso den Apologeten des
neoliberalen Kapitalismus als Kampfbegriff dient (244).
Es werden in diesem Zusammenhang der innovativen Klärung des Verhältnisses von
Marxismus und Freiwirtschaftsbewegung viele bedeutende und aktuelle Themen der
heutigen Wirtschaft abgehandelt, ohne die kein zukünftiger Erfolg zu haben sei.
Darunter Lösungen für das Problem der Arbeitslosigkeit, Perspektiven in der
Geld- und Ressourcenproblematik sowie die für den Autor charakteristische
Zuordnung der Ebenen Wirtschaft, Politik, Kultur und Religion auf nationaler und
globaler Ebene. Das vorliegende Buch befaßt sich also in aktualisierter Form
mit den großen Menschheitsproblemen, deren Lösung man - so betont der
Frankfurter Professor für Entwicklungs- und Währungspolitik Wilhelm Hankel in
seinem Vorwort - vorurteilsfrei wie Heinrichs analysieren müsse (12).
Stark beeindruckt zeigt sich Heinrichs im dritten Kapitel von der Person und dem
Werk Johannes Kleinhappls, der 1947 Lehrverbot erhielt, da seine Thesen nicht
das Konstrukt einer am westlichen Wirtschaftssystem ausgerichteten Kirche
stützten. Der Jesuit Kleinhappl entfaltete seine Lehre an der Universität
Innsbruck und geriet in Konflikt mit der kirchlichen Autorität. Bei
aufmerksamer Lektüre erkennt der Leser problemlos, daß es die fundamentale
Kapitalismuskritik und das biblische Zinsverbot, welches etwa 1800 Jahre
unangetastet blieb, sind, die beide Autoren verbinden.
Mit Blick auf zunehmende globale Pauperisierung in städtischen Armenvierteln
und zunehmenden Reichtum auf Seiten einiger weniger mit der Konsequenz
entsprechenden sozialen Sprengstoffs weisen Heinrichs’ Analysen das Potential
zur Lösung brennender Fragen auf. Silvio Gesell, der als Vordenker der
"Natürlichen Wirtschaftsordnung" seine Ideen in einer argentinischen
Mustersiedlung zu realisieren suchte, stellte beispielsweise selbst die Frage,
warum unser Geld über eingestanzte Zahlen ein Dauerwertversprechen geben
können sollte. Er wollte damit das Geld als Machtmittel, welches sich über die
sich in ihrem Wert natürlich-dynamisch verhaltenden Naturalien erhebt, in Frage
zu stellen. Das Problem liegt ihm darin, daß das Geld hingegen ohne weitere
Arbeit hortbar und über Zinsen akkumulierbar wird.
Heinrichs Impuls hebt hingegen nicht nur den drohenden Zeigefinger, sondern gibt
mit aktuellem Anspruch ernsthaft und engagiert die Unvernunft dieses Zwanges zum
wirtschaftlichen und geldlichen Wachstum "gegen alle ökologische
Vernunft" (29) zu bedenken. Entsprechend seiner demokratietheoretischen
Konzeption der Viergliederung kommt bei ihm zu der Reform der wirtschaftlichen
Basisebene die politische Reform: Die Wirtschaft wird zukünftig von den
kulturellen und weltanschaulichen Zielen her ihren Rahmen gesetzt bekommen
müssen (287). Der Mensch ist also das Maß aller Dinge und darum auch das Maß
der Wirtschaft. Dieser Anthropozentrismus schließt das freie Spiel aller
Kräfte und Leistungen unabhängig von ungleichen "Vorrechten" ein,
die durch das Zinssystem, das Boden- und Erbrecht von Grund auf eine natürliche
Wirtschaftsordnung verfälschten. Ob Zinsgewinner oder Zinsverlierer,
Neoliberalismus oder Humanwirtschaft - der Leser erhält einen tiefergehenden
Einblick in die systemischen Ungerechtigkeiten bestehender Ordnungen.
Mit eindeutiger Perspektive zur Gesundung des heutigen Wirtschaftsorganismus und
mit einem Nachwort von Rudolf Bahro - der letzten schriftlichen Stellungnahme
vor seinem Tode - erweist sich die Theorie der Viergliederung in diesem Buch
offenbar auch auf wirtschaftlicher Ebene als zukunftsweisend. Es ordnet sich
komplementär in die vorausgegangenen Werke ein.
Bei den Lesern jeglicher Schriften von Heinrichs - und das ist seine
erstaunliche Leistung - manifestiert sich ein Bild davon, daß dieser Autor
zielsicher die geistesgeschichtlichen Leistungen deutscher Philosophen von einem
systematischen Standpunkt aus selbständig fortentwickelt hat. Die Erinnerung
daran in Kombination mit einer geforderten Aufgeschlossenheit beim Leser führen
dazu, dass Heinrichs’ Bücher stets perspektivisch die allumfassende Idee
einer philosophischen Grundlage für die gemeinsamen Interessen der Menschheit
anzuempfehlen scheinen.
Fazit
Die kommenden Umwälzungen des 21. Jahrhunderts stehen womöglich im Zeichen
einer philosophischen Grundlage, eines höheren Bewußtseins integraler
Provenienz. Dieses Buch gehört zu dieser Grundlage.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 18. Juni 2007 2007-06-18 18:54:02