Beim Verlag "Die Werkstatt" startete 1994 die Reihe "Große
Traditionsvereine" mit dem Titeln "SV Werder Bremen - eine Karriere im
kühlen Norden" sowie "Borussia Dortmund - der Ruhm, der Traum und das
Geld". Letzteres ist im Jahre 2001 in einer überarbeiteten Version erneut
erschienen, doch nennt es sich jetzt schlicht: "Die Geschichte von Borussia
Dortmund".
Inzwischen sind insgesamt 16 Titel in dieser Reihe erschienen. René Martens'
Werk über den FC St.Pauli erschien 1997 als der achte Titel.
In diesen Büchern, die sich speziell mit einem Verein, seiner (Entstehungs-)
Geschichte, sowie den Menschen vor und hinter den Kulissen beschäftigen, reiht
sich "Wunder gibt es immer wieder" nahtlos ein.
Als langjähriger Fan meinte ich schon allerhand über meinen Verein zu wissen,
so wurde ich schnell eines Besseren belehrt. Denn neben dem ganzen
"Wer-schoß-wann-welches-Tor-in-welcher-Minute-gegen-wen?" gibt es
sicherlich wichtigere und weitaus interessantere Storys und Anekdoten
aufzuzählen, - gerade beim FC St.Pauli...
Und dieses Buch hatte eine einschneidende Wirkung auf den FC, seine Fans, seine
Mitglieder, - denn:
Martens ahnte nicht, dass ausgerechnet er mit seinem St.-Pauli-Buch den Zerfall
der "Idylle am Millerntor" eingeleitet hat. Er hat die Wahrheit über
Wilhelm Koch geschrieben, der von 1931 bis 1945 und von 1947 bis 1969 Präsident
des FC St. Pauli und acht Jahre davon Mitglied der NSDAP war.
Koch hatte den Verein mehrmals vor der Pleite gerettet. Das Geld stammte aus
seiner Firma, die er 1933 von seinen beiden jüdischen Chefs übernommen hatte.
Nach seinem Tod im Jahre 1969 wollten seine drei Töchter einen Teil des Geldes,
das Koch in den Verein gesteckt hatte, zurückhaben. Statt der geforderten 300
000 Mark gab man ihnen die Hälfte und dem Stadion den Namen ihres Vaters, der
bis heute geblieben ist. Das wollte Fan Ronny Galczinski ändern und stellte auf
der Jahreshauptversammlung 1998 einen Antrag auf Umbenennung des Stadions. Mit
Erfolg. Seitdem heißt das Stadion so, wie es im Volksmund eh schon immer
genannt wurde: Millerntor (-Stadion).
Soweit zu den Auswirkungen des Buches, nun zum Inhalt. In vereinsfarbenem Braun
kommt das Buch daher, als Coverbild sieht man Fahnen, Fans und Feuer. Auf der
Rückseite ist das legendäre Tor von Niels-Tune Hansen abgebildet, mit dem er
den FC St.Pauli im Jahre 1977 erstmals in die erste Bundesliga schießt.
Aufgebaut ist das Buch wie die meisten anderen in dieser Reihe auch: Unterteilt
in Dekaden oder anders formatierten Zeitabschnitten, dreht sich zunächst alles
um die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Vereins. Hier jedoch wird zunächst
ein Blick auf die Entstehung des Stadtteils St.Pauli geworfen, was für den
weiteren Verlauf durchaus wichtig ist.
Viele Präsidenten, Sportler und Trainer werden kurz portraitiert, dazu gibt es
Rückblicke auf einzelne Abschnitte aus dem Vereinsleben - logischerweise immer
mit dem Spielgeschehen in der derzeitigen Liga eng verknüpft. Da wird von der
Wunderelf der späten 50er geschwärmt, von den Lokalschlachten in der 1963
eingeführten Regionalliga augenzwinkernd-heroisch bericht gehalten, die
Fahrstuhl-Zeit von 1978 bis 1985 nochmals ausgiebigst verflucht und schließlich
verkündet: "Wir sind wieder da!".
Die Fans (gerade die, die seit ca. 1988 in der Gegengeraden den Totenkopf in den
Wind hielten) erhalten einen angemessen Rahmen, in dem die vielfältigen
Aktionen und deren Hintergründe erläutert werden. Die Fans waren halt schon
immer etwas anders am Millerntor.
Neu im Buch ist neben den Veränderungen seit 1997 (Ende der Ära Weisener 5,
neue Clubführung und - natürlich - der Bundesligaaufstieg mit dem 2-1 Sieg
gegen Bayern; die Geburtsstunde der "Weltpokalsieger-Besieger") ein
einleitendes Gespräch mit St. Pauli-Fans und ein längeres Portrait über
Urgestein André Trulsen.
Zum Ende hin schließt sich der unverzichtbare Statistik-Teil an, in dem die
geneigte Leserschaft dann allerhand Daten, Zahlen und Fakten zu Spielern,
Trainer, Managern und Präsidenten erlesen kann. Auch die Platzierungen der
verschiedenen Spielzeiten fehlt ebenso wenig, wie die Auflistung sämtlicher
Kader seit 1947...
Fazit
Wie alle Bücher der Reihe "Große Traditionsvereine" ist auch
"Wunder gibt es immer wieder" nicht nur für die Fans des jeweiligen
Vereins geschrieben. Auch - und vielleicht gerade - Menschen, die einfach mehr
über St.Pauli wissen wollen, als "Wie lang ist die Reeperbahn?" oder
"Wie viele Etablissements hat die Herbertstraße?", sei dieses Buch
nahegelegt, - ob nun Fußball-Fan oder nicht. In diesem Buch ist es wie im
richtigen Leben: Stadtteil und Verein sind untrennbar miteinander verbunden und
lassen sich schwer bis gar nicht teilen.
Vorgeschlagen von Peter Bahner
[Profil]
veröffentlicht am 20. Februar 2003 2003-02-20 07:49:13