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Frank Lisson: Oswald Spengler. Philosoph des Schicksals

Oswald Spengler. Philosoph des Schicksals

von Frank Lisson
Verlag: Edition Antaios [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-935063-04-3

Preis: aktuell keine Daten vorhanden
Die Auseinandersetzung mit Oswald Spengler (1880-1936), dem begeisterten und zugleich leidenden Philosophen des Schicksals, hat wieder Hochkonjunktur. Sein Schicksalsbegriff ist zwar antirationalistisch, aber umso mehr - wenn man ihn zu verstehen gewillt ist - der Wirklichkeit nahe. Die nunmehr erschienene Studie von Frank Lisson bringt Licht in das Dunkel blind kultivierter Anschuldigungen und Mißverständnisse gegenüber Spengler. Was vor über 80 Jahren eindrucksvoll im "Untergang des Abendlandes" (1918) begann, in "Preußentum und Sozialismus" (1919) die Abrechnung mit dem Marxismus praktizierte sowie in "Jahre der Entscheidung" (1933) die heutigen politischen und ökologischen Krisen der globalisierten Welt und ihrer Wirtschaft prophezeite, bekommt der Leser in dieser Schrift kompakt und unvoreingenommen präsentiert.
Sie zeichnet sich durch eine erfrischende Abkehr von der einst wenig reflektierten Negativfolie "Spengler" aus und offenbart seine vielen geistigen Schichten: Dichterphilosoph, Visionär, Tatsachenmensch und Außenseiter. Als Außenseiter ergriff Spengler Partei gegen die Nationalsozialisten, um nach Hitlers Vorgehen gegen die konservative Opposition am 30. Juni 1934 Ekel gegenüber der Geistlosigkeit des "braunen Haufens" zu empfinden. Lisson folgt bereits in der Gliederung dem Anspruch, den Charakter Spenglers nun integral zu erfassen, was sein Buch nicht nur als Remontage eines ungewürdigten Genies erscheinen läßt, sondern Spenglers Einordnung in die deutsche Geistesgeschichte überhaupt nachholt: Ambivalenz zwischen Politischem und Unpolitischem, Kultur und Zivilisation, Pessimismus und Aktivismus, dogmatischer Religiosität und tieferer Spiritualität. So gelingt es ihm, das Werk des Philosophen vor allen Dingen an die gleichsam sprudelnde subjektive Kreativität der Persönlichkeit Spenglers zu knüpfen.
Spengler, geboren im anhaltinischen Blankenburg, verstand sich als Überwinder des eurozentrischen Weltbildes. Die abendländische Kultur habe ihren Höhepunkt erreicht. Als Zivilisation, der Ära des entgrenzten und mit mächtigen exekutiven Befugnissen ausgestatteten Cäsarismus, gerate ihr Demokratismus zur Farce bloßer Parolen, die von freiheitlichen Ansprüchen abstrahieren. So ergibt sich ein bisher unbekanntes Spengler-Bild, das ihn als Personifizierung der Schwellenzeit des 20. Jahrhunderts, als die Realität erfassenden Empiriker, als von Sehnsucht geplagten und geisterfüllten Mystiker und als der preußischen Tradition verhafteten Idealisten - als Meister der spekulativen Induktion - aufscheinen läßt. Der alte Vorwurf des ausschließlichen "Kulturpessimismus" wird ergänzt durch ein Komplementärbild, nach dem es Spengler eigentlich nur um innovative Tatsachenmenschen ging, die zugleich Ideale besitzen. Es ging ihm um einen Genius, der urteilsfähig und mit ganzheitlichem Bewußtsein ausgestattet den profanen Parteihader überwindet.
Eine wichtige Rolle spielt im vorliegenden Buch natürlich Spenglers Hauptwerk: "Der Untergang des Abendlandes". Mit der dort entfalteten Kombination der repetitiven Zyklusidee von Kulturen und dem Problem der Dekadenz und des Zerfalls der Kultur statuierte Spengler seine wesentliche und eigentliche politische These. Anknüpfend an die Ideenlosigkeit der Menschheit und der Bedeutungslosigkeit universalhumanistischer Werte, vor allem die der liberal-rationalen Gedankenwelt (Herrschaft des Verstandes, Humanität, Freiheit der Völker), hat in dieser Perspektive jede Kultur ihre Möglichkeiten des Ausdruckes. Diese Möglichkeiten entfalten Wirkung, bilden Früchte, die erscheinen, reifen, welken und nie wiederkehren. Der Verfall der Kultur, die Passivität und die Ausdörrung des Menschen sei hier unvermeidlich wie der Tod, der auf das Leben folgt. Das solistische ruhelose Streben des westlichen Menschen nach dem Höheren, nach der Überwindung von Entfernungen gipfelt im westlichen Expansionsdrang der Technik, in der Raumfahrt und der Computerwelt, die die negativen Dialektiker wohl als Bestätigung ihrer Axiome ansähen. Das Ich fiel also mit dem Willen Gottes zusammen und rückte die faustische Willenskultur in den Mittelpunkt, die zugleich bei Spengler einhergeht mit dem "Problem der Zivilisation".
Der kulturelle Niedergang, die psychische Krise kennzeichnet Spengler als schwarzes Loch oder, um es treffend mit de Man auszudrücken, als "Werk der Zergliederung", dessen Ergebnis letztendlich ein Residuum und eine "unterbewußte Seelenschicht des infantilen Zustandes, der Träume" ist, in dem "nur noch Empfindungen und Automatismen (...) wiedergegeben" werden. (Hendrik de Man: Vermassung und Kulturverfall, 1951, S. 127/128) Die Spaltung der Seele, die Grundtendenz der Flucht vom Hier ins Anderswo, das latente Unbehagen dabei in der Kultur, hatte bereits Siegmund Freud in seiner gleichnamigen Schrift erkannt. Die Tatbestände des exessiven Feierns des gegenwärtigen vergnügungssüchtigen Hedonismus, der Begeisterung für den Krieg, ob real oder auf der Leinwand, als Flucht aus dem Alltag, als Moratorium, als gleichsam temporäres Ausscheren aus dem sekundären Zustand, sind hier einzuordnen. Lisson gelingt es, diese Facetten im Denken Spenglers sinnvoll auf die Gegenwart zu übertragen.
Der Politik aber rechnete Spengler in beiden Perioden, der Kulturphase und der Zivilisationsphase, den gleichen Rang zu. Die Hypertrophie der Moderne mit ihrer Radikalisierung destruktivster Aspekte unterliegt im Rahmen der Möglichkeit einer aktiven Staatsbürgschaft einer gewissen Regulierbarkeit. Der Kulturpessimismus wird hier zum punktuellen Optimismus des Pragmatikers. Ob Spengler mit seinem Begriff von Politik und Kultur nach heutigen Kategorien und begrifflichen Konstrukten Parteigänger eines politischen "Extremismus" wäre, muß dahingestellt bleiben. Allein formale Logik, Begriffe und diskriminierende Kategorien können das Wesen der Welt nicht umfassend erschließen. Spengler stand an der Wegegabelung von ideellem Überbau und kreativem Ekel an der Realität. Womöglich war es jener Zwiespalt, der seine reifen Urteile ermöglichte. Sie laden zur neuen konstruktiven Reflexion ein und künden heute eine sinnvolle Spengler-Renaissance an. Die vorliegende Sekundärschrift dient als sinnvolle und vor allem unvoreingenommene Einführung in Wesen und Werk Oswald Spenglers.

Daniel Bigalke, Dipl.-Pol.
Fazit
Diese Sekundärschrift über Oswald Spengler eröffnet den Weg zur Erkenntnis eines verkannten deutschen Genies und trägt der neuerlichen Spengler-Reneaissance aus verständliche Weise durchaus Rechnung.
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne

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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 12. Mai 2007

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