Als Dr. Victor Hoppe nach jahrelanger Abwesenheit in sein Heimatdorf Wolfheim
zurück kommt, um die Landarztpraxis seines Vaters zu übernehmen, bringt er
eine Baby-Tragetasche mit. Aus dieser Tragetasche erklingt nicht etwa
Babygeschrei, sondern ein dreifaches Geheul. Der Leser ahnt Böses. Die
Nachbarin Irma Nussbaum von gegenüber ist ebenso neugierig auf den
alleinerziehenden Doktor und seine Drillinge wie alle anderen Dorfbewohner.
"Eigentlich ist das nichts für Männer" hatten die Dorf-Klatschbasen
zum Thema Haushalt und Kindererziehung festgestellt. Ein Strom von eingebildeten
und wirklichen Kranken bewegt sich in Hoppes Praxis. Jeder will den neuen Doktor
besichtigen. Außer der Tatsache, dass die rothaarigen Drillinge dem Doktor wie
aus dem Gesicht geschnitten aussehen, erfahren die Dorfbewohner kaum etwas über
die neuen Nachbarn; denn die Kinder verlassen das Grundstück nicht. Die
Kindererziehung hat die pensionierte Lehrerin Frau Maenhout fest in der Hand,
während der Doktor sich um seine Patienten kümmert. Frau Maenhout stellt
schnell fest, dass der knorrige Doktor sehr merkwürdige Vorstellungen von der
Kinderpflege hat und selbst ein schwieriger Charakter ist. Schon bald sorgt sie
sich, dass mit den drei Kleinen etwas nicht in Ordnung sein könnte. Was wohl
mit der Mutter der Kinder geschah?
In ineinander verschachtelten Rückblenden erfährt man, welch trostlose
Kindheit Hoppe in diesem kleinen Dorf verbracht hat. Victor Hoppe wurde mit
einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren. Seine Eltern schoben ihn als debil in
ein Kloster ab. Eine junge Novizin stellt bald fest, dass Victor zwar
merkwürdig ist, aber ganz und gar nicht debil. Schließlich trotzt Vater Hoppe
den mittelalterlichen Ansichten der Dorfbewohner unter Führung ihres
fanatischen Pastors und holt Victor wieder nach Hause zurück. Doch der
ebenfalls merkwürdige Vater findet keinen Kontakt zu seinem ungewöhnlichen
Sohn und schickt Victor bald darauf in ein katholisches Internat. Die Ordnung
dort "war Victor wie auf den Leib geschneidert"; sie wird durch Angst
vor Züchtigung und Angst vor Gott aufrecht erhalten. Victor ist ein sehr guter
Schüler, macht Abitur und beschließt nach Abschluss seines Medizin-Studiums,
"den Menschen Leben zu schenken".
Hoppe junior will Säugetiere klonen und experimentiert zu diesem Zweck mit
Mäusen. Der junge Mediziner, der nur in Schwarz-Weiß-Mustern denken kann und
keinerlei Zugang zu den Gefühlen anderer Menschen findet, forscht mit
fanatischer Besessenheit, grundsätzlich nicht bereit, sich Normen zu
unterwerfen - seien sie ethisch, rechtlich oder religiös begründet.
Fazit
Stefan Brijs hat das beklemmende Portrait eines einsamen Fanatikers geschrieben,
der sich auf dem schmalen Grat zwischen Genie, Glaube und Wahnsinn bewegt. Die
Darstellung von Victors Kindheit in der engstirnigen Epoche des
Wirtschaftswunders mag heute grotesk scheinen; doch der Umgang mit Behinderten
und schwierigen Menschen war damals tatsächlich von Unkenntnis und
Gleichgültigkeit geprägt. Die Beschreibung des kleinen Victor und seiner
erstaunlichen Logik liest sich absolut fesselnd. Dass der Verfasser seinen
wahnsinnigen Victor als schwierigen Einzelgänger charakterisiert, führt leider
zeitweilig vom brisanten Thema Embryonenforschung fort. Leser, deren religiöse
Gefühle verletzbar sind, sollten den Engelmacher besser nicht lesen. Die
düstere Handlung ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite - besonders,
wenn man vor der Lektüre noch wenig über das Buch weiß.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 23. April 2007 2007-04-23 18:39:24