Das Leben eines Menschen war im China des 13. Jahrhunderts nichts wert. Die
Mannschaft der Chabi ließ Gou Pei als "Windprüfer" an einer
geflochtenen Plane wie einen Drachen in den Wind aufsteigen, um herauszufinden,
ob die Götter dem Ablegen dieses Schiffes wohl gesonnen waren. Der junge Gou
Haoju muss mit ansehen, wie sein Vater vom Wind durchgeschüttelt wird und dann
leblos ins Meer stürzt. Als Pei aus dem Wasser an Bord der Chabi gezogen wird,
ist er tot.
Di Chou, der Obermaat des Schiffes, hatte schon lange ein Auge auf Haojus gut
aussehende Mutter Qing’an geworfen und seinen Konkurrenten Pei gezielt aus dem
Weg geschafft. Haojus fetter Großonkel Bo übernimmt nach Peis Tod die Rolle
des Familienoberhauptes und will Qing’an möglichst schnell wieder
verheiraten. Doch Mipeng, die in die Zukunft sehen kann, verkündet, dass der
12-jährige Haoju zukünftig als Drachenbauer die kleine Familie ernähren wird.
Ein weise Prophezeiung. Drachen kann ein fingerfertiger Chinese aus Papier,
Bambus und Leim leicht herstellen, selbst wenn er zu arm ist, um sich Werkzeuge
für die Ausübung eines Handwerks zu kaufen. Qing’an ist vorerst vor einer
Verheiratung gegen ihren Willen gerettet, doch Haoju und Mipeng haben sich den
Hass Di Chous zugezogen. Haoju stellt nun Drachen in allen Formen, Farben und
Umrissen her, um mit dem Verkauf seine Mutter, seine kleine Schwester und sich
selbst zu ernähren. Di Chou dringt bei Großonkel Bo noch immer auf eine Ehe
mit Qing’an. Haoju will das um jeden Preis verhindern; er schreckt nicht
einmal davor zurück, sich für sein Ziel selbst freiwillig als Windprüfer zu
melden. Sein wagemutiger Flug auf der Plane spricht sich schnell herum und Haoju
erhält eine Anstellung als Artist beim Zirkus Jade des Herrn Miao Jié. Die
abergläubischen Menschen hoffen, dass Haoju bei seinen Flügen über den Wolken
Kontakt zu ihren verstorbenen Ahnen aufnehmen, ihnen Opfergaben bringen und sie
um ihre Meinung fragen kann. Haoju wird als berühmter und mutiger Mann
verehrt - doch um des Ruhmes willen muss der Junge getrennt von seiner Familie
unter den allen Chinesen verhassten Tartaren leben, den Mongolen.
Fazit
Der Drachenflieger ist ein fesselnder historischer Roman aus der Zeit Kublai
Khans, nach chinesischer Rechnung der Zeit der Sung-Dynastie. Haojus Leben zu
Wasser, zu Lande und in der Luft, unter Chinesen und Mongolen beschreibt das
Leben im alten China aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Die
Erzählperspektive aus der Sicht von Chinesen des 13. Jahrhunderts hält die
Autorin nicht konsequent durch.
Neben einer liebevollen Schilderung des chinesischen Alltags- und Familienlebens
geht McCaughreans Jugendroman der Frage nach, wie weit ein Einzelner oder eine
Nation in ihrem Widerstand gegen Gewalt und Unterdrückung gehen darf. Stoff und
Sprache sind für ein Jugendbuch sehr anspruchsvoll. Mit wenigen Ergänzungen
könnte jungen Lesern der Zugang zu den historischen Zusammenhängen erleichtert
werden: mit zusätzlichen Sachinformationen zum China des 13. Jahrhunderts und
mit der in Deutschland üblichen Schreibweise der Orts- und Personennamen. Bei
der Übersetzung des Textes wurde die englische Schreibweise der Namen
beibehalten. Dass Mit Kubla Khan der uns bekannte Kublai Khan gemeint ist oder
mit Setchwan die Provinz Sichuan, erschließt sich nicht sofort jedem Leser.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 08. Dezember 2007 2007-12-08 12:11:42