Der hier anzuzeigende Fantasyroman "Der Prinz aus Atrithau" ist der
zweite Teil einerTrilogie, die in englischer Sprache bereits komplett vorliegt.
Da der erste Teil,
Schattenfall. Der Krieg der Propheten
1, bereits an anderer Stelle besprochen wurde, seien nur einige kurze
Vorbemerkungen gemacht.
Die Welt von Eärwa wird von einem Krieg gewaltigen Ausmaßes erschüttert. Der
neue Tempelvorsteher der inrithischen "1000 Tempel" hat einen
"Heiligen Krieg" gegen die Anhänger des Propheten Fane, die Kiane,
verkündet. Ein riesiges Heer von gläubigen Inrithi ist aufmarschiert, um die
heilige Stadt Shimeh zurückzuerobern. Im Heer befindet sich auch Anasurimbor
Kellhus, angeblich ein "Prinz aus Atrithau", aus dem fast vergessenen
Norden, wo seit 2000 Jahren, seit der mythisch verklärten Apokalypse, nur noch
wenige Menschen leben. Kellhus stammt tatsächlich aus dem Norden, er ist jedoch
ein Dunyain, Anhänger eines Mönchsordens, deren Anhänger nach geistiger und
körperlicher Perfektion streben und dabei menschliche Gefühle ausblenden.
Kellhus, der ein meisterhafter Manipulator ist, gelingt es binnen kürzester
Zeit, sich eine angesehene Stellung im Kreuzfahrerheer zu verschaffen.
Unterstützung findet er durch Cnaiür, einen Barbaren aus dem Norden, der
jedoch gegen Kellhus' Manipulationskünste weitgehend gefeit ist und nur daran
denkt, Shimeh zu erreichen und dort Kellhus' Vater Moenghus zu töten, der ihn
Jahre zuvor betrogen hatte. Auch Drusas Achamian, ein mächtiger Hexer und
Mitglied des Ordens der Mandati, die als einzige noch an die Geschichten der
Apokalypse glauben, in der die Menschheit beinahe von dem "Nicht-Gott"
vernichtet worden wäre, begleitet das Heer. Er erkennt den Familienname
Anasurimbor sofort wieder - war dies doch der Name der einst mächtigen Könige
von Kuniüri, deren Reich im Zuge der Apokalypse unterging.
Der Marsch des Kreuzfahrerheers verläuft zunächst zwar strapazvoll, aber auch
recht erfolgreich. Mehrere Städte und Landstriche, die einst zum Kaiserreich
Nansur gehörten, fallen an die Eroberer. Dabei machen sich aber auch erste
Spannungen bemerkbar, denn die Nansur, deren General Ikurei Conphas das Heer
begleitet, verfolgen eigene Pläne. So fällt bald schon Cnaiür, der über
reichlich militärische Erfahrung verfügt, die Rolle eines "militärischen
Beraters" zu. Dabei ist er vollkommen in seinem Element, zumal seine Wut
über Kellhus, der sich mit Leichtigkeit bei den Inrithi einschmeichelt, den
frommen Adligen spielt und bald schon der "Kriegerprophet" genannt
wird, immer mehr zunimmt - nicht zuletzt, weil Cnaiür Kellhus' Geliebte Serwe
begehrt, diese aber Kellhus hoffnungslos verfallen ist.
Trotz einiger Schwierigkeiten fällt sogar das uralte Shigek an die Inrithi,
während die Kiane verzweifelt im Süden Truppen sammeln. Achamian, dem teils
Zweifel bezüglich Kellhus kommen, wird von Mitgliedern des Hexerordens der
Scharlachspitzen gefangen genommen, die von ihm die Kunst der Gnosis, der
Hexenkunst des alten Nordens erfahren wollen. Achamian kann schließlich
entkommen, nicht jedoch, ohne einen Preis dafür zu bezahlen. Nur unter Mühen
erreicht er die Stadt Caraskand, die zwar von den Inrithi gehalten wird, die nun
aber selbst zu belagerten geworden sind, denn das gewaltige Heer des Padirajah
von Kian ist endlich eingetroffen.
Die Inrithi leiden gewaltigen Hunger und Durst und manchen kommen nun Zweifel am
"Kriegerpropheten". Besonders Ikurei Conphas, der Kellhus nie getraut
hat, aber auch andere Mitglieder des Kriegsrats fordern Klarheit. Dabei ist
ihnen nicht bewusst, dass auch die "Rathgeber", die fast völlig
vergessenen Diener des Nicht-Gottes, noch immer aktiv sind und Kellhus ebenfalls
ausschalten wollen, da er ihre "Hautkundschafter", Spione, die die
Gestalt von Menschen annehmen können, mühelos enttarnen kann.
Das Ende des Buches ist recht abrupt, bildet jedoch auch durchaus den logischen
Endpunkt der Entwicklung, die Kellhus im Laufe der Handlung durchmacht. Kellhus
selbst erweckt beim Rezensenten keine Sympathie, wenn man Bakker auch loben
muss, einen so gelungenen "Anti-Helden" geschaffen zu haben. Dafür
entschädigen aus meiner Sicht vor allem Cnaiür, Achamian, aber auch viele
Randcharaktere. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Prostituierte Esmenet,
deren Entwicklung nun ebenfalls fragwürdig, aber doch nachvollziehbar ist.
Der zweite Teil ist gespickt mit durchaus fesselnd beschriebenen Schlachten,
aber auch politische Intrigen kommen nicht zu kurz. Bemerkenswert ist es, die
Manipulationstechniken von Kellhus zu verfolgen, der faktisch nie Gefühlen
Platz einräumt, sie aber nachahmt und es versteht, daran zu appellieren. Das
Ende des Buches deutet dabei jedoch auf eine bemerkenswerte Wende im Gemüt des
ansonsten so kalt berechnenden Mannes hin.
Insgesamt erfährt der Leser mehr über die Vorgeschichte dieser Welt, die
offenbar in weiten Teilen an antike Hochkulturen angelehnt ist (wie im Fall von
Nansur [Rom/Byzanz] oder Shigek [Mesopotamien/Ägypten]), während der Kriegszug
der Inrithi unzweifelhafte Züge des 1. Kreuzzuges trägt. Dennoch ist dies
keine Kritik, die Handlung wirkt dadurch nur lebendiger.
Fazit
Bakkers zweiter Teil der Trilogie ist ihm sehr gut gelungen, aus Sicht des
Rezensenten noch besser als der erste Teil. Bakkers Welt wirkt sehr
"lebendig", wenn auch teils erschreckend düster und brutal. Die
Ausarbeitung der Charaktere ist vielleicht noch nicht auf dem Niveau von
George R. R. Martin oder
Steven Erikson, was aber keine
Schande ist. Jedem Leser (nicht nur Fantasyleser!), der eine durchaus
"erwachsene" Rahmenhandlung zu schätzen weiß, kann daher bedenkenlos
zu Bakkers Buch greifen. Für den geneigten Einsteiger, der den ersten Teil
nicht gelesen hat, verfügt der deutsche Band über eine nützliche
zusammenfassende Einleitung.
Zu erwähnen ist auch die stilvolle Aufmachung des Buches durch den Verlag
Klett-Cotta, im Fantasybereich keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Es
bleibt zu hoffen, dass auch der dritte Teil komplett übersetzt erscheint, da
der englische Originalband einen umfangreichen Anhang mit Lexikonteil enthält.