Zwischen verfassungsrechtlicher Legalität und revolutionärem Anspruch
Die Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) in Essen ist ein
Paradox der westdeutschen Nachkriegsdemokratie, wie es kein anderes gibt. Die
Verfassungsrechtler kennen zwar entgegen anderen "westlichen"
Demokratien Europas das 1951 gegen die KPD erfolgreich angewandte Parteiverbot
nach Art. 21 GG, mußten aber der Gründung der DKP zusehen, beziehungsweise
zeigten kaum Ambitionen, die Gründung dieser Partei zu verhindern. Allen war
aber klar, daß es sich 1968 um die Nachfolgepartei der früher verbotenen KPD
handelt.
Michael Roik, Ministerialrat beim Bundesbeauftragten für Kultur und Medien,
legt nunmehr eine Studie vor, die das Ziel hat, unter Anerkennung einer
Differenz von "Demokratie und Diktatur" die Geschichte der DKP
1968-1984 nachzuzeichnen. Er spricht vom "Phänomen DKP", obwohl eine
phänomenologische und damit von subjektiven Bezugswerten unbehelligte
Untersuchungspraxis von Referenzmaßstäben wie "Demokratie" oder
"Diktatur" zur Beschreibung eines Phänomens abstrahieren müßte.
Trotz gebotener Vorsicht gegenüber seiner Methode offenbart das Buch Neuheiten.
Es wird deutlich, daß die DKP den Staatsparteien von DDR und UdSSR, die den
Systemgegensatz zur Bundesrepublik lebensnotwendig kultivierten, als
Interventionsorgan für ihre "Westarbeit" in der Bundesrepublik
diente.
Roik stellt sodann nachfolgend die Frage, wie sich dieses Wirken mit der
westdeutschen Verfassungsordnung überhaupt vereinbaren ließ. Hier benennt er
zurecht eine Entwicklung, die bis heute den politischen Alltag im
Nachkriegsdeutschland prägt. Das Opportunitätsprinzip beim Umgang mit
verfassungsfeindlichen Tendenzen hat mit dem Aufkommen der DKP eine neue
Qualität erfahren: Während im Umgang mit Rechtsextremisten der
"demokratische Konsens" fortbesteht, ist er in der Abgrenzung zu
Linksextremisten erodiert. Roik verfolgt schließlich die Verhaltensmuster von
CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen und kommt zu dem Ergebnis, daß es der SPD - auch
infolge der "neuen Ostpolitik" sowie der Entspannungspolitik - wichtig
war, das Verhältnis zur DDR zu entspannen, indem man die Sozialisten im eigenen
Land - vertreten durch die neue DKP - gewähren ließ. Zudem waren ab 1985 die
Sozialdemokraten im Rahmen der "Bündnispolitik" zu
sicherheitspolitischen Vereinbarungen mit der SED und der KPdSU bereit und
reihten sich in eine gemeinsame Front gegen die CDU/CSU-Bundesregierung sowie
gegen die Politik der NATO ein. Der DDR sei es mit einer der DKP übertragenen
Bündnispolitik gelungen, "dem öffentlichen Meinungsdruck eine Richtung zu
geben", der elektoral - über Wahlen - nicht zu erreichen war. Gleichwohl
gebühre der 68er-Studentenbewegung das Verdienst, "die Gründung und
Entfaltung der DKP mitbegünstigt zu haben." Roik ignoriert an dieser
Stelle, daß jene Re-Legalisierung der DKP schon früher durch die im Mai 1968
gegründete Sozialistische Arbeiterjugend (SDAJ) einsetzte. Zudem nahmen schon
am 3. April 1968 der Sekretär des Zentralrats der FDJ E. Rau und S. Rausch von
der Westabteilung des ZK der SED die Werbung für eine
"antiimperialistische Demokratie" im Westen in Angriff, um dem
sozialistische Referenzmodell im Westen einen wohlklingenden Namen zu verleihen.
Bis 1984 hatte sich der antitotalitäre Konsens jedoch längst verschoben. Die
DKP wurde zur renommierten parteilichen Kraft, die sich gewisser Bündnispartner
sicher sein konnte. Spätestens hier hätte Roik aber herausstellen müssen,
daß die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" schon vorher einer
Sonderentwicklung unterlag und fortwährend als im Grundgesetz von 1949 nicht
definierte "verfassungsmäßige Ordnung" verstanden wurde, womit
Verfassungswidrigkeit erstmalig in Deutschland kein Verhalten mehr war, sondern
als politische Gesinnung gleichsam unterstellt werden konnte. Die derartige
"antitotalitäre" Ausrichtung des Grundgesetzes hatte den Spiegel der
Selbstreflexion zum Erkennen des eigenen totalitären Potentials genüßlich
zertrümmert, andernfalls hätte die DKP von Beginn an als normale Opposition
begriffen werden müssen. So verwundert es nicht, daß gerade durch diesen
"antitotalitären" Rigorismus die Zahl sogenannter
"Verfassungsfeinde" von links, die sich infolge der
DKP-Bündnispolitik nun auch im Parlament und den Gewerkschaften befanden, stark
anwuchs. An die Stelle des Antitotalitarismus trat ein selektiv operierender
Antifaschismus - unter Preisgabe des Antikommunismus.
Zu bedauern ist, daß Roik das dezidiert kritische Hinterfragen dieser Prozesse
am Beispiel der DKP nicht absolviert, was die Lektüre recht ermüdend
gestaltet. Man hätte erkennen können, daß der Code Freund - Feind, der die
bundesdeutsche Politik bestimmt, auch jener Code ist, der zwar die Opposition zu
parlamentarisieren trachtet, durch diese Legalisierung aber die Opposition gegen
das Konstrukt der Legalität selbst und damit die Möglichkeit des Politischen
überhaupt ausschließt. Regierung und Opposition werden auf der Suche nach der
möglichst populären Meinung austauschbar. Der heutige "Populismus"-
Vorwurf ist vielmehr auf die parlamentarischen Parteien selbst anzuwenden.
Womöglich bot aber die DKP für viele Menschen die Option, aus der Reproduktion
dieses Immer-Gleichen in der alten Bundesrepublik auszuscheren. Nicht zuletzt
trägt doch gerade die Möglichkeit dynamischen Konflikts zur Selbsterhaltung
des Politischen bei. Die konstruktive Einschränkung einer ausschließlichen
Beurteilung der Systemintention von Parteien nach "systemkonträr" und
"systemloyal", die inzwischen hinfällig zu werden scheint,
thematisiert Roik ebensowenig, obwohl eine Studie zur DKP gerade in Anbetracht
heutiger Entwicklungen genügend Anlaß dazu geboten hätte. So vermittelt diese
Studie zwar interessante Neuheiten, nicht aber die Bereitschaft zu politisch
umfassendem Reflexionsvermögen. Daniel Bigalke
Fazit
Michael Roiks Studie beschreibt das Wirken der DKP als Modus der SED-Westarbeit.
Sie bietet zwar interessante Neuheiten, versäumt es aber, das Phänomen
"DKP" umfassend aus sich selbst heraus zu verstehen, um es statt
dessen vielmehr an herrschenden politischen Maßstäben zu messen, was an sich
von der Reflexionslogik her gesehen nicht schwer ist.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 19. März 2007 2007-03-19 13:35:42