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Mischa Meier: Sie schufen Europa

Sie schufen Europa

von Mischa Meier
Verlag: Verlag C. H. Beck [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-406-55500-8

Preis: 18,40 Euro bei Amazon.de [Stand: 20. November 2024]
"Lassen Sie Europa entstehen!" Dieser Aufforderung Winston Churchills aus dem Jahr 1946 sind die Europäer in den vergangenen Jahrzehnten wenigstens ein Stück nachgekommen - trotz des Scheiterns des Verfassungsentwurfs und trotz vieler (wohl nicht immer notwendigen) Reglementierungen aus Brüssel. Doch was ist das Fundament Europas? Ist es das griechisch-römische und schließlich mittelalterliche Erbe, die Aufklärung oder eine Mischung aus all dem? Im Zusammenhang mit dem angestrebten EU-Beitritt der Türkei, sind diese Fragen auch nicht mehr rein akademischer Natur. Die Grundlagen für das Entstehen des modernen Europas wurden jedenfalls zu einem nicht unerheblichen Teil in der Spätantike gelegt, also jenem Zeitraum zwischen ca. 300 und 600 n. Chr., der in den vergangenen Jahrzehnten wieder verstärkt im Fokus der Geschichtswissenschaft steht.

Den Ursprüngen Europas will auch die hier anzuzeigende Sammlung von biographischen Skizzen wenigstens ansatzweise nachgehen. Der dabei behandelte Zeitraum erstreckt sich von der Regierungszeit Constantins des Großen (dem 2007 eine Ausstellung in Trier gewidmet ist) (306-337), über das "Zeitalter" Justinians im 6. Jahrhundert bis hin zu Karl dem Großen, der nicht selten als "Vater Europas" gefeiert wird. Der Herausgeber Mischa Meier, dessen Abhandlungen über den oströmischen Kaiser Justinian I. die wissenschaftliche Diskussion einige Impulse verdankt, hat eine durchaus namhafte Gruppe von Autoren gewinnen können. Dass die Auswahl der behandelten Personen subjektiv sein muss, betont Meier im Vorwort des Buches selbst. Und tatsächlich mag man sich darüber streiten, ob etwa Papst Gregor der Große fehlen sollte, doch beweist die Aufnahme von oft (durchaus zu Unrecht) vernachlässigten Personen durchaus Mut. So wird nicht nur das Leben Constantins, Theodosius', Justinians, Mohammeds und Karls des Großen behandelt, sondern auch der Sasanidenkönig Chusro I., der Langobardenkönig Alboin, der Westgote Eurich oder der oströmische Kaiser Herakleios wurden mit einem Eintrag bedacht - um nur einige zu nennen.

Dabei wird in den meisten dieser "biographischen Portraits" ein durchaus diffenzierteres Bild geboten, als man dies vielleicht von einem Werk erwartet, welches ja durchaus eher auf ein allgemein interessiertes Publikum ausgerichtet ist. So wird das Vorurteil von den nur grausam wütenden Vandalen ebenso relativiert, wie auch die Vorstellung von einem glorreichen "Zeitalter Justinians". Ebenso werden die grundlegenden Strukturprobleme der jeweiligen Zeit wenigstens angerissen, wie die Folgen des Zusammenbruchs der römischen Verwaltungsordnung im Westen im Laufe des 5. Jahrhunderts. So entfaltet sich ein wesentlich vielschichtigeres Bild dieser Epoche, in der das Christentum im Imperium Romanum den Sieg davon trug, aber auch das Westreich unterging und in dessen Trümmern dann im Laufe der nächsten Jahrhunderte das Europa des Mittelalters Gestalt annahm. Währenddessen hatte das Ostreich einen Überlebenskampf zu bestehen, der erst 1453 endete.

Sicherlich darf man von derartigen "Portraits" keine detaillierte Darstellung der Ereignisse oder der Kulturgeschichte erwarten, aber es werden doch die Grundlinien der Entwicklung deutlich. Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst der insgesamt 19 Verfasser(innen). Trocken ist keiner der Beiträge zu lesen, allerdings sticht doch der eine oder andere etwas hervor. Besonders gelungen ist nach Meinung des Rezensenten, eben nicht nur, wie bereits kurz angesprochen, eine Auswahl der "üblichen Verdächtigen" zu treffen (wie eben Constantin, Chlodwig, Karl der Große etc.), sondern auch Personen Platz einzuräumen, die keineswegs nur "Randfiguren" im Geschehen dieser bewegten Zeit waren. Dass zusätzlich teils übersetzte Quellenauszüge in die Darstellung eingeflochten sind, erhöht noch den Reiz der Lektüre. Interessant wäre freilich gewesen, dabei stärker der Frage nach der "Transformation" der Mittelmeerwelt in der Spätantike und im Frühen Mittelalter nachzugehen, die in der historischen Forschung der letzten Jahre wieder an Bedeutung gewonnen hat (vgl. etwa Bryan Ward-Perkins, "The Fall of Rome", Oxford 2005). Aber auch so ist das Buch eine interessante und teils sogar packende Darstellung dieses gewaltigen Umbruchsprozesses, der Europa tief geprägt hat - war doch auch dem Mittelalter beispielsweise die "Romidee" nie entschwunden.

Einige nützliche Literaturangaben bzw. (knappe) Anmerkungen vervollständigen den Band. Die Literaturhinweise sind insgesamt sehr aktuell, über die Gewichtung ließe sich streiten. Dabei vermisst man vielleicht einige übergreifende Darstellungen (die Cambridge Ancient History [Bd. 12-14] und die New Cambridge Medieval History [Bd. 1 und 2] wären beispielsweise zu nennen), die dafür aber teils als spezielle Literaturhinweise auftauchen, wie Jochen Martins Darstellung der Spätantike oder Walter Pohls vorzügliche Einführung in die Völkerwanderungszeit. Pohls Buch wird denn auch mehrmals genannt, so etwa bei den Angaben zu Alarich, Geiserich, Attila und Chlodwig. Aber das ist nicht wirklich störend, dass hingegen ein Register fehlt, schmerzt schon eher.
Fazit
Auch Leser, die mit den Grundlinien dieser (durchaus nicht unproblematischen) Zeit zwischen 300 und 800 weniger vertraut sind, werden aus dem Buch sicherlich Gewinn ziehen. Eine erschöpfende Darstellung wollten und konnten die Autoren nicht bieten. Aber es wird doch das Spektrum der verschiedenen Entwicklungslinien aufgezeigt, aus welchen sich Europa zu einem guten Teil speist. Und es wird auch deutlich, welche Dynamik Entwicklungsprozesse entfalten können. Dass dabei Veränderungen nicht immer mit Verfall gleichzusetzen sind, wird nach der Lektüre hoffentlich ebenso deutlich, wie auch die Komplexität der Frage, was Europa war - und vielleicht einmal sein wird.
9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne9 Sterne
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Vorgeschlagen von B. Kiemerer [Profil]
veröffentlicht am 14. März 2007

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