Andreas Landewee ist so alt wie das 20. Jahrhundert - geboren am 17.9.1900 in
Böhmen. Mit 77 Jahren löst er seinen Haushalt in Deutschland auf, um zu seinem
Sohn Wolfgang nach British Columbia ihn Kanada auszuwandern. Wolfgang hatte
anfangs mit der kanadischen Forstbehörde einen unbefristeten Pachtvertrag für
eine schwer zugängliche Wilderness Lodge abgeschlossen. Später kaufte er Black
Creek, die Überreste einer Goldgräbersiedlung am Quesnel Lake. Drei alte
Hütten gibt es dort - ohne Wasser, ohne Strom, mannshohes Unkraut und Libellen
groß wie Fußballschuhe. Ein friedliches Fleckchen Erde für
Überlebenskünstler, die die Einsamkeit lieben. Für die Beschaffung von
Wasser, Nahrung und Heizmaterial sind die Aussteiger allein verantwortlich.
Falls einem in Black Creek etwas Ernsthaftes passiert, sollte man möglichst
noch in der Lage sein, bis in die Mitte des Sees zu rudern; denn nur dort
funktioniert das Funktelefon. In einem Alter, in dem andere ins Altersheim
ziehen, entscheidet sich der alte Landewee unerschrocken für einen Neuanfang.
Sogar den Bechstein-Flügel seiner verstorbenen Frau lässt er sich in die
Blockhütte liefern.
Lucette ter Borg schildert den knorrigen Vater und seinen nicht weniger
knorrigen Sohn in einer kargen Sprache, die den beiden Männern wie auf den Leib
geschneidert erscheint. Wenn sie abwechselnd aus Andreas Sicht und dann wieder
aus Wolfgangs erzählt, scheint sich in diesem Moment die ganze Welt nur um die
beschriebene Person zu drehen. Andreas erinnert sich an seine Kindheit, an seine
Eltern, die ihn und die Geschwister bei ihrer fürsorglichen Tante Anna
abstellten, während sie als Musiker wochenlang unterwegs waren. Seine Zeit als
Gutsverwalter im böhmischen Sonnenberg ist ihm so unvergessen wie der Neuanfang
der ganzen Familie Landewee in Süddeutschland. Doch in seinem Leben muss es
noch mehr gegeben haben. Weshalb sollte ein alter Mann einen Bechstein-Flügel
mit nach Kanada schleppen? Merkwürdig, dass seine drei anderen Kinder so
eifersüchtig auf seine Auswanderung reagieren. Merkwürdig auch, dass seine
verstorbene Frau Elisabeth nicht die Mutter dieser Kinder zu sein scheint.
Schicht für Schicht entblättert sich Andreas Leben.
Als der alte Landewee zu seinem Sohn nach Kanada kommt, ist er schon ziemlich
betagt. Anfangs sind seine organisatorischen Talente eine willkommene
Unterstützung für Wolfgangs Vorhaben am Ende der Welt. Doch in Andreas Leben
vermischen sich nun immer öfter Gegenwart und Vergangenheit, er wird
starrsinnig und antriebslos. Das schwierige Kind, das Andreas für seine Mutter
war, wird nun zum schwierigen Kind für seinen Sohn Wolfgang.
Fazit
Lucette ter Borgs charakterisiert in klarer Sprache einen alternden Mann mit all
seinen Fehlern und Lebenslügen, ohne dabei je seine Würde zu verletzen. Die
Autorin beobachtet Andreas Altern sehr feinfühlig und versöhnt die Leser mit
stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 09. März 2007 2007-03-09 19:27:09