Elke Falkenstern ist eine sehr starke Frau. Und Elke Falkenstern ist eine sehr
mutige Frau. Denn das, was Elke Falkenstern erlebt hat, kann nur überstehen,
wer über eine immense Stärke und einen unglaublichen Mut verfügt. Bereits als
Zweijährige wurde sie von ihrem Vater sexuell mißbraucht und schwer
mißhandelt, und über viele Jahre hinweg war sie seinen Gewalttaten hilflos
ausgeliefert. Die physischen und psychischen Quälereien waren so massiv und
unfaßbar, dass sie sich lange Zeit überhaupt nicht daran erinnern konnte. Als
Erwachsene suchte sie aus beruflichem Anlaß einen Therapeuten zur Beratung auf,
und dabei wurden diese gut verschlossenen Türen zur Erinnerung aufstoßen. Sich
diesen Fragen zu stellen, sie willkommen zu heißen und sich mit ihnen und der
dahinterstehenden Angst auseinandersetzen, erfordert viel Mut. Elke Falkenstein
hat diesen Mut aufgebracht, und es ist ihr gelungen, das Entdecken der
Gewalttaten, die ihr Vater ihr angetan hat, in ein befreiendes Handeln zu
verwandeln. Dank ihrer eigenen Stärke und der Hilfe ihres Therapeuten kann sie
heute nicht nur diesen Greueln ins Gesicht blicken, sondern hat sich - nicht
weniger wichtig - auch von alten Verhaltensweisen und Unterwerfungsstrategien
freimachen können. Auch das erfordert Mut, denn ihre Entscheidungen waren oft
unbequem: sie informierte nahestehende Verwandte und Freunde, brach den Kontakt
zum Vater ab, wählte einen neuen Namen und blickte im Rahmen einer
langjährigen Therapie der schlimmen Vergangenheit mitten ins Gesicht. Diesen
Heilungsprozeß schildert Elke Falkenstern in ihrem Buch "Einen Weg ins
Offene finden. Einblicke in die Aufarbeitung sexueller Gewalt." Sie
beschreibt ihre Therapie als zwar schmerzhafte, jedoch hoffnungsvolle und
lebensbejahende Entwicklung, die letztendlich neue Perspektiven und neue
Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Dabei konzentriert sie sich immer wieder auf
den Weg der Heilung - die grausamen Ereignisse schildert sie sozusagen nebenher
- und erklärt, warum sie die Aufarbeitung so lang zurückliegender Gewalt für
sinnvoll hält. In einem Aspekt widerspricht die Autorin vehement der gängigen
Meinung: sie ist nicht der Meinung, dass eine vollständige Heilung nur möglich
ist, wenn das Opfer dem Täter verzeiht. Sie hat ihrem Vater nicht verziehen,
und sie glaubt auch nicht, dass sie ihm verzeihen müsste, könnte oder sollte.
Und die Art und Weise, wie Elke Falkenstern ihr Buch geschrieben hat, bestätigt
ihre Ansicht. Sie scheint von ihren schlimmen traumatischen Erlebnissen
weitgehend genesen, und das Buch selbst markiert nun einen weiteren Schritt.
Geschrieben ist es unterdes nicht als weitere Therapiemaßnahme, sondern für
andere - Nicht-Betroffene, denen sie Einblicke in den Heilwerdungsprozeß bieten
möchte, Mitbetroffene und Angehörige von Gewaltopfern, die selbst oft mit der
Konfrontation der familiären Mißhandlungen überfordert sind, und schließlich
andere Betroffene, die aus diesem Beispiel Mut und Kraft schöpfen können. Ich
bin sicher, dass es dem einen oder anderen, der es gut brauchen kann, in die
Hände gelangt.
Fazit
Es ist der Autorin gelungen, das schwierige Thema auf eine Art und Weise zu
behandeln, dass eine konstruktive Auseinandersetzung überhaupt erst möglich
ist. Gleichzeitig nennt sie alle Dinge beim Namen, ohne zu beschönigen oder
auszuweichen. Ein bewundernswerter Ansatz, eine großartige Leistung - Schreiben
gehört ohne Zweifel zu den Talenten dieser bemerkenswerten Frau - ein
bewundernswertes, großartiges Buch!
Vorgeschlagen von Annette Rieck
[Profil]
veröffentlicht am 15. Januar 2007 2007-01-15 19:29:06