Viola Alvarez, die sich bereits mit ihrer Interpretation der Tristan-Sage
("Das Herz des Königs") und der Geschichte um Walther von der
Vogelweide ("Wer gab dir, Liebe, die Gewalt") hervorgetan hat,
legt nun einen dritten großen historischen Roman vor: "Die Nebel des
Morgens". Hierin erzählt sie die Nibelungen-Sage nach - allerdings ganz
anders, als Sie sie kennen dürften. Siegfried und Kriemhild, König Gunther,
Gernot, Giselher, Brynhild, Hagen von Tronje - sie alle kommen zwar auch in
dieser Version vor, und auch der Rahmen der Handlung wurde beibehalten, aber es
gelang der Autorin, ein kleines Stück des Heldenepos mit einem völlig neuen
Inhalt zu versehen. Sie legt den Schwerpunkt nicht auf den tapferen Siegfried
und die schöne Kriemhild, sondern verstrickt kurzerhand Königin Brynhild und
Hagen von Tronje in eine heimliche, ebenso tiefe wie aussichtslose Liebe, und
macht diese Liebe zum Anlaß, der den Untergang der Burgunder im Land der Hunnen
heraufbeschwört. Sie beschreibt Siegfried als Frauenheld, der seine Heldentaten
bloß erfunden hat, Gunther als dicklichen Schwächling, und Kriemhild ist zwar
schön, aber nicht viel mehr als eine hysterische weltfremde Gans. Ihre
Hauptperson ist Hagen von Tronje, gezeichnet als wortkarger Außenseiter und
tapferer Krieger mit moralischen Grundsätzen. Viola Alvarez zeichnet ihre
Charaktere mit einer solchen menschlichen Vielschichtigkeit und psychologischer
Tiefe aus, dass es ein reines Vergnügen ist, die Nibelungensage einmal aus
dieser Perspektive zu betrachten.
Fazit
Aber Vorsicht: 699 Seiten!
Vorgeschlagen von Annette Rieck
[Profil]
veröffentlicht am 07. Januar 2007 2007-01-07 17:14:45