Finnen und Venezianer bewegen sich seit früher Kindheit - von Mücken
umschwirrt - routiniert per Boot auf Binnengewässern. Doch als der finnische
Ingenieur Marrasjärvi mit seinen Kollegen im Auftrag der UNESCO
Strömungsmessungen für Venedigs aufwändige Hochwasserschutzmaßnahmen
vornehmen soll, ist von Verbrüderung der beiden amphibischen Nationen zunächst
wenig zu spüren. Im venezianischen Nebel findet sich Marrasjärvi zur
allgemeinen Verblüffung souverän mit seinem Taschen-GPS zurecht; die
Feinheiten des Austauschs von Gefälligkeiten in mediterranen
Vetternwirtschaften bleiben ihm jedoch verschlossen.
"In Venedig kann man nichts zustandebringen, man kann sich dort nur
aufhalten" stellt der Finne entnervt fest.
Deutsche Leser sollten sich nicht zu früh freuen: lassen doch nach
Marrasjärvis Einschätzung organisatorische Abläufe ihrer
DIN-Normen-geprägten Heimat ebenfalls zu wünschen übrig. Geschlagen mit dem
Geschichtsdozenten und alten Lateiner Heikkilä im Team, der wenig Italienisch
und noch weniger Venezianisch spricht, stolpern die Finnen mit interkultureller
Überheblichkeit durch die marode Stadt. Verfechter wärmedämmender
Holzbauweise stehen Anhängern kühler Kachelflächen unversöhnlich
gegenüber. Trotz tatkräftiger Hilfe einer finnischen Mittelsfrau mit Wohnort
Venedig kommt das ursprünglich geplante Projekt eher schleppend voran, sodass
die Finnen Zeit und Energie in die Beobachtung der einen oder anderen
kriminellen Nebenhandlung investieren können.
Fazit
Wer sich selbst und Raittilas absurde Gestalten nicht zu ernst nimmt, wer
ironisch über die eigene Herablassung gegenüber anderen Nationen auf
handwerklichem Gebiet spotten kann, wird Canal Grande als fein beobachteten,
unterhaltsamen Venedig-Roman genießen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 26. Dezember 2006 2006-12-26 18:57:27