Ein eindrucksvolles Bändchen - Roman oder Novelle - ist Jakob Hein hier
gelungen. Beschrieben wird das Psychogramm eines Außenseiters, der niemals
dauerhafte Kontakte zu Mitmenschen knüpfen konnte. Eines Tages wird er bei
seiner Arbeitsstelle, der Post, entlassen. Kapitel für Kapitel wird nun
beschrieben, wie die Arbeitslosigkeit Herrn Jensen verändert und letztlich in
den Wahnsinn treibt; er bemüht sich lange, sinnvolle Beschäftigungen zu
finden, um die Leere der Tage auszufüllen und vereinsamt immer mehr. Doch
gleichzeitig gewöhnt er sich an diese Einsamkeit, er weicht Mitmenschen und
Freunden aus. Qualifikationsmaßnahmen beim Arbeitsamt durchläuft er nur
pro-forma, die Ausbilder sind selber desinteressiert und stellen den
Arbeitssuchenden lediglich Bescheinigungen an Kursteilnahmen aus, ohne an einem
echten Vermittlungserfolg durch die angebotenen Kurse interessiert zu sein. Die
Sachbearbeiterin am Arbeitsamt gilt als unfreundlich und will den unbequemen
Herrn Jensen wieder lossein. Dieser verkriecht sich immer weiter in seine eigene
Fantasiewelt, sodass er frühere Freunde und Kollegen verstört. Als er bei
seinem früheren Arbeitgeber schließlich erneut eine Stelle antreten soll,
lehnt Herr Jensen entrüstet ab; er hat sich eingeigelt und den Anschluss an
seine Welt verloren; der einzige Kontakt zur Außenwelt, der Briefkasten, wird
auch abmontiert.
Camus`Buch: "Der Fremde", der Film: "Das weiße Rauschen"
mit Daniel Brühl (der Begriff wird in dem Roman mehrfach zitiert), ja
möglicherweise die Werke des Schweizer Autors Peter Stamm (Agnes, Blitzeis
etc.) mögen Pate gestanden haben für diese Beschreibung von Außenseitern, die
nicht mehr in die reale Welt zurückfinden.
Mich hat das Buch sehr an die Werke Kafkas erinnert, vor allem an "Die
Verwandlung"; auch Herr Jensen verwandelt sich; zwar nicht in einen Käfer,
aber in einen gebrochenen Menschen, den die Arbeitslosigkeit krank macht.
Fazit
Das Buch - knapp 135 Seiten kurz - ist nicht frei von Klischées, jedoch zeigt
Jakob Hein, selber Arzt, starke Beobachtungskraft und kann sich in seine
Patienten (zu dem Herr Jensen am Ende wird) hineinfühlen. Macht die Anonymität
unserer Massengesellschaft, die Vereinzelung des Mitmenschen, letztlich krank?
Es sind diese existentiellen Fragen, die das Werk - für mich interessant
machen. Für mich gehört das Buch zu den eindrucksvollsten Werken, die ich 2006
gelesen habe. Egal, was man davon hält: es packt und lässt nicht mehr los. Und
dies ist für mich daher gute und faszinierende Literatur. Unbedingt lesenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 14. Dezember 2006 2006-12-14 21:57:53