In der Diskussion darüber, was Kinder dürfen und was sie gern haben möchten,
hat fast jeder einen entschiedenen Standpunkt, aber kaum jemand Argumente, um
die eigenen Ansichten zu untermauern. Der Neurologe und Hirnforscher Manfred
Spitzer analysiert den Einfluss von Fernsehen und Computerspielen auf die
körperliche und seelische Gesundheit von Kindern. Die Ergebnisse der
zahlreichen zitierten Studien sind eindrucksvoll, aktuell und übersichtlich
grafisch dargestellt. Spitzer weist nach, dass Fernsehen Kinder dick, krank und
dumm macht. Sein Urteil über jugendliche Computernutzer ist simpel: Mädchen
chatten und Jungen laden sich Schund herunter. Da die Zeit zum Computerspielen
häufig nicht durch Reduzierung der Fernsehzeit gewonnen wird, sondern dazu zu
addieren ist, machen Computerspiele plus Fernsehen wohl dicker, dümmer und
kränker. Die Amerikaner sind uns wie in vielen fragwürdigen Entwicklungen um
Jahrzehnte voraus: Im Jahr 2000 hatten 30% der amerikanischen Kinder
Übergewicht, in Deutschland 12% der Kinder. Die langfristigen Folgen:
Zivilisationskranke Kinder mit Altersdiabetes, Bluthochdruck und Arteriosklerose
werden einmal jung sterben und die Sozialversicherung bis zu ihrem Tod viel Geld
gekostet haben. Spitzer will der elektronischen und digitalen
Umweltverschmutzung Einhalt gebieten. Er vermittelt anschaulich Details der
frühkindlichen Hirnentwicklung und betont die Bedeutung von Aufmerksamkeit und
Konzentration für das schulische und soziale Lernen. Unbestritten ist, dass
Zweijährige zunächst das Bellen aus dem Hundemaul erleben müssen, ehe sie das
Bellen eines Filmhundes aus dem Lautsprecher des Fernsehapparats richtig
verarbeiten können. Fernsehen ist für kleine Kinder nutzlos, solange sie keine
motorischen, akustischen und sensorischen Erfahrungen machen können. Der Autor
weist nach, dass Viel-Fernseher schlecht lesen lernen, weniger kreativ sind,
Informationen oberflächlicher verarbeiten und eher Rollenstereotype
übernehmen. Dass Gewalt direkt aus Filmen und Computerspielen gelernt wird -
diese These ist so populär wie umstritten. Warum in Deutschland drei
Computer-spielende Schüler zu Amokläufern wurden und alle anderen nicht, dazu
bietet Spitzer sowenig Antworten wie andere Medienkritiker. Auch zum Einfluss
der eigenen Gewalterfahrungen in der Familie auf das gewalttätige Verhalten
Jugendlicher äußerten Experten sich bisher kaum. Manfred Spitzer, Vater von
fünf Kindern, hat in der eigenen Familie auf die Holzhammermethode gesetzt: Es
gibt keinen Fernseher mehr, weil ihn die Diskussionen seiner Kinder über
Fernsehzeiten und Serienhelden nervten. Für engagierte Eltern, die für ihre
Kinder nur das Beste wollen und deshalb fachlichen Rat suchen, ist seine
Methode kein Vorbild. Medienerziehung soll nicht polarisieren, sondern zur
Urteilsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen beitragen.
Fazit
Spitzers Forderungen wirken plakativ formuliert und polarisierend. Die Wahl des
Buchtitels trifft Inhalt und Problemstellung nicht: Der Bildschirm allein
schadet niemandem, solange er nicht benutzt wird. Spitzers Buch ist lesenswert,
bringt jedoch keine praktische Umsetzung seiner Thesen in den Erziehungsalltag.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 08. November 2006 2006-11-08 16:22:54