Das vorliegende Buch hat mich sehr beeindruckt und nicht mehr losgelassen. In
der Tradition von Mark Twain behandelt dieser Südstaaten-Klassiker das
gesellschaftliche Leben in den USA im Jahre 1935, also zur Zeit von Präsident
Roosevelt. Rassenhass und Vorurteile bestimmen das Leben in Maycomb City
(Alabama). Dort wächst die neunjährige "Scout", eigentlich
Jean-Louise Fink, zusammen mit ihrem Bruder Jem wohlbehütet als Tochter eines
Rechtsanwaltes auf. Doch die Idylle wird getrübt, als ihr Vater, Atticus, eines
Tages einen Neger, Tom Robinson, aus Überzeugung verteidigt. Tom Robinson soll
eine Weiße vergewaltigt haben. Da Atticus die Verteidigung nicht nur als
Pflicht ansieht, sondern von der Unschuld Toms überzeugt ist, ziehen sich die
Finks den Hass einiger Leute in dem Dorf zu. Die Ereignisse eskalieren, als Tom,
der trotz Atticus Verteidigung verurteilt wird - ein offenkundiger Justizirrtum
- bei der Flucht aus dem Gefängnis erschossen wird. Der Vater der Weißen, der
unsympathisch gezeichnete Bob Ewell, überfällt aus Rache die beiden Kinder und
kommt dabei ums Leben. Unversehens endet die bislang idyllische Kindheit der
Finks und Jem - der seine Schwester bei dem Überfall verteidigt hat, muss
fortan mit einer Behinderung - einem verkürzten Arm, der ihm bei dem Überfall
verrenkt worden war - leben.
Dennoch: die Autorin vermeidet - wie eine Rezension beim Erscheinen des Buches
1962 schrieb - die Perspektive der Bitterkeit. "Sie beschreibt mit dem
Staunen und mit der Furchtsamkeit, die der erste Zusammenstoß mit der
Wirklichkeit auslöst, Liebe und Obhut eines Vaters, der die
Auseinandersetzungen mit dem rätselhaften Dasein der Erwachsenen lenkt."
Der Vater, Atticus, erweist sich als Fels in der Brandung, als Hort der
Rechtschaffenheit. Zwar ist er nicht erfolgreich in dem Sinne, dass er dem Recht
zum Sieg verhelfen kann (einziger Erfolg bleibt, dass die Geschworenen Tom
Robinson nicht innerhalb von 10 Minuten für schuldig befinden, sondern dafür
rund 2 Stunden benötigen). Dennoch gelingt es ihm, seinen Kindern Vorbild zu
werden - in seiner freundlichen und unaufdringlichen Menschlichkeit.
Menschlichkeit und der Wert von Freundschaften - dies wird durch diesen
eindrucksvollen Roman packend demonstriert. Anstand siegt nicht immer; aber er
macht das Leben lebenswerter. Dies alles lernt Scout mit der
"Beobachtungsschärfe der Unwissenden, dem Erfahrung noch nicht den Blick
verstellt hat", wie es die erwähnte Rezension der "Deutschen
Zeitung" - in der Inhaltsangabe zum Buch zitiert - 1962 festgestellt hat.
Fazit
Ein zeitloser Klassiker, bekannt durch den - leider stark gekürzten -
oscarprämierten Film mit Gregory Peck als Atticus in der Hauptrolle -, der
jedoch an Eindringlichkeit und auch an Aktualität bis heute meines Erachtens
nichts verloren hat.
Unbedingt lesenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 22. Oktober 2006 2006-10-22 14:24:18