"Nichts ist umsonst." Die Witwe Steinunn Olafsdóttir macht sich
nichts vor. Sie hat das Leben ihrer fünf Kinder exakt geplant. Sie werden
zusammen nach Akureyri in Nord-Island ziehen. Zunächst sollen die Mutter und
die beiden ältern Töchter in der Fischfabrik arbeiten, um das Schulgeld für
die beiden Söhne zu verdienen. Die jüngste Tochter Karitas muss arbeiten und
zusätzlich den Haushalt führen. Nach und nach können dann die drei Töchter
eine Berufsausbildung machen. Ein ehrgeiziges Ziel im Island um 1900. Während
Karitas mit der Hand die Wäsche ihrer Dienstherrin wäscht, hat die längst
besondere Pläne mit ihrem Hausmädchen: Karitas soll bei Frau Eugenia
Zeichenunterricht erhalten. Die Begegnung zwischen Karitas und Frau Eugenia
charakterisiert treffend die Lebensbedingungen der Reichen und der arbeitenden
Bevölkerung. Frau Eugenia ist leicht pikiert, dass in Karitas Familie so viel
über Geld gesprochen wird. Die Familie Olafsdóttir fragt sich, was eine Frau
in einem Haushalt ohne Kinder und mit zwei Dienstmädchen wohl den ganzen Tag
über tut. Eugenia finanziert für Karitas ein fünfjähriges Kunststudium in
Kopenhagen. Doch Karitas verliebt sich in den gut aussehenden Sigmar und wird
prompt schwanger. Mit dem Umzug in eine einfache Torfhütte wäre dann die
traumhafte Geschichte der Künstlerin Karitas Olafsdóttir zu Ende. Wie ihre
Nachbarinnen müsste die junge Frau in einem endlosen Einerlei aus Waschen,
Kochen und Stillen untergehen.
Doch wer Baldursdottirs tatkräftige und schlagfertige Frauenfiguren kennt,
erwartet mehr. Wir erleben eine ungewöhnliche Beziehung zwischen Karitas und
ihrem Mann. Die beiden sind gleich starke Partner, die jeder völlig von den
eigenen Interessen absorbiert werden. Da wird schon mal vergessen, wer dafür
zuständig ist, die Kuh zu melken. Sigmar hat zwar Verständnis dafür, dass
seine Frau eine Staffelei und Farben benötigt. Dass sie auch Kochtöpfe und
eine Nähmaschine anschaffen will, leuchtet ihm weniger ein. Er spart auf ein
elegantes Fischerboot.
In einem Fischerdorf wird selbstverständlich von den Frauen erwartet, dass sie
ihre Kinder passend zur Fangsaison zur Welt bringen. Hauptsache das Kind ist zur
Besichtigung da, wenn der stolze Vater zurückkehrt. Zuvor rückt eine Brigade
hilfsbereiter Nachbarinnen an, die bei der Geburt hilft, putzt, kocht, strickt
und natürlich ihren eigenen Nachwuchs mitbringt. Selbstverständlich glauben
alle an Elfen und Trolle. Ihr überschäumendes Temperament und
Selbstbewusstsein leben einige Frauen damit aus, dass sie am Nachmittag eben mal
einen Gletscher besteigen und das ihren Männern verheimlichen. Frauen brauchen
eben etwas Spaß, während die Männer auf See sind.
Fazit
Baldursdóttirs viertes Buch zeichnet die faszinierende Geschichte einer starken
Frauengeneration um 1900 und gibt Einblick in ihr schweres Leben.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 19. Oktober 2006 2006-10-19 13:06:37