Sofies Welt für Erwachsene
Der französische Psychiater Hector hat im Verlauf seines Berufslebens so viele
Patienten therapiert, dass er inzwischen aus dem Grübeln nicht mehr
herauskommt. Warum gibt es Menschen, die zufrieden wirken, obwohl es ihnen -
objektiv betrachtet - schlecht gehen müsste, und warum jammern andere, obwohl
das Schicksal es offensichtlich gut mit ihnen meint?
Eine einzige Frage wird übermächtig und bestimmt sein Denken und Handeln. Die
Frage nach dem Wesen und dem Ursprung des Glücks. Um Antworten auf diesen
höchst philosophischen Aspekt des Lebens zu finden, muss zunächst der eigene
Horizont erweitert werden. Unser philosophisch angehauchter Psychiater begibt
sich also auf eine lange, lange Reise, die ihn zunächst nach China führt. Von
nun an wird alles und jedes nach den vermeintlichen Gesetzen des Glücks
befragt. Akribisch notiert Hector jede neue Erfahrung in seinem kleinen
Notizbuch und schon bald hat er zwanzig Lehrsätze gefunden. Auf dem Flug nach
China begegnet er einem notorischen Nörgler, der in der zweiten statt in der
ersten Klasse reisen muss. Und schon hat Hector das erste Gesetz des Glücks
entdeckt: "Vergleiche anzustellen, ist ein gutes Mittel, sich sein Glück
zu vermiesen." Das stimmt natürlich; dennoch ist gerade das Vergleichen
ein tiefverankertes menschliches Bedürfnis, das in unser Welt das
Konkurrenzstreben bestärkt und so in gewisser Weise die Geschäfte belebt. Wenn
Nachbar X den neuen BMW hat, will Nachbar Y ihn auch. Unbedingt! Jetzt und
sofort!
Kaum ein Roman kommt derzeit ohne eine Liebesgeschichte aus. Auch dieser nicht.
Hector verliebt sich in die asiatische Edelprostituierte Ying Li und versucht,
ihr zu einem neuen "ordentlichen" Leben zu verhelfen. Er kommt zu dem
durchaus wahren Schluss "Glück ist, wenn man dafür geliebt wird, wie man
eben ist."
Aber eigentlich liebt Hector ja seine Clara, die daheim in Frankreich geblieben
ist. Dieses kleine Intermezzo mit zwei Frauen verhilft wahrscheinlich so manchem
Leser zu dem eigenständig formulierten Lehrsatz: Glück ist, wenn man die
richtige Entscheidung trifft.
Wie Hector sich entscheidet, darf natürlich nicht vorweg genommen werden. Aber
auch das ist vermutlich ein Gesetz des Glücks: Gehe den zweiten Schritt nicht
vor dem ersten!
Auch der 1953 geborene Autor, Francois Lelord, ist Psychologe. Auch er ist ein
Reisender und weiß folglich, wovon er spricht. Grundsätzlich wirkt Lelords
alter Ego Hector häufig wie ein erwachsen gewordener "Kleiner Prinz".
Aber hinter diese Naivität schimmert eine Lebensklugheit hervor, die wir nicht
nur von Exupéry, Gaarder, sondern auch von Fynns ehemaligen Megaseller
"Hallo Mr Gott, hier spricht Anna" kennen.
Fazit
Der Roman schrammelt oft an dem vorbei, was gemeinhin als Kitsch bezeichnet
wird. Oft ist er zu bemüht niedlich und zu leserorientiert (du liebst mich
doch, mein Leser, oder? Doch, du musst mich einfach lieben, weil ich soooo nett
bin!). Andererseits besticht Hector als Gutmensch, als liebevoller Zeitgenosse
und als so aufmerksamer Zuhörer, dass ihn der Leser wirklich mögen muss.
Der Klappentext verspricht seinen Lesern, dass "die Lektüre allein
glücklich macht". So ganz stimmt das leider nicht. Aber schön war es
doch...
Vorgeschlagen von Heide John
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veröffentlicht am 15. Oktober 2006 2006-10-15 17:26:48