Vom "Herbst der Flakhelfergeneration", die ihre Erinnerungen schreibe,
hat der "Spiegel" im August 2006 geschrieben und darin auch die
Erinnerungen des kürzlich verstorbenen Historikers und Publizisten Joachim Fest
gewürdigt. Ich möchte gleich sagen: diese Erinnerungen wurden zu recht
gewürdigt. Sie bieten ein beeindruckendes Portrait einer Familie, die aus
Überzeugung gegen die nationalsozialistische Ideologie immun war und das
nationalsozialistische Unrechtsregime schon vor der Machtübernahme durchschaut
und richtig eingeschätzt hat. Es ist insbesondere das Portrait des
willensstarken, prinzipienfesten und charaktervollen Vaters von Joachim Fest,
welches diese Biographie zu einem meiner Meiung nach außergewöhnlichen
Dokument der Zeitgeschichte werden lässt. "Herkunft, Lebensweg und
Überzeugungsstärke hatten meinem Vater vier Bestimmungen vermacht, von denen
keine zu den anderen zu passen schien und jede gegenüber den drei übrigen ihre
Unduldsamkeiten ausgebildet hatte. In seinem Falle jedoch wurden alle
Widersrpüche durch die Kraft seiner Persönlichkeit zusammengehalten und jede
einzelne dieser Denklinien hat einen Teil zu seiner Unnachgiebigkeit gegenüber
dem NS-Regime beigetragen." Er war überzeugter Republikaner und Anhänger
der Weimarer Republik. Daneben war er überzeugter Preuße, ohne viele Worte
darüber zu machen. Doch er war kein "Stockpreuße". Der Begriff, den
er vom Preußischen habe, sagte er gelegentlich, sei von ziemlich unzeitgemä0er
art. Neben dem bekannten Pflichtenkatalog gehöre die freiwillige
Anspruchsbeschränkung dazu, der Verhicht auf Wehleidigkeit und die Fähigkeit
zur Lebensbewältigung durch eine "Prise" Ironie. Außerdem war der
Vater ein strenger Katholik und überzeugtes Mitglied der Zentrumspartei, zu
deren republikanischen Flügel er gehörte.
Minutiös schildert Fest den Alltag im dritten Reich, die Gefahr, in die sich
der Vater durch seine Prinzipienfestigkeit begab, die wachsende Armut der
Familie, nachdem der Vater als Schuldirektor abgesetzt worden war. Doch diese
Person des Vaters überstrahlt das ganze Buch. Der Schriftsteller Martin Walser
hat anlässlich der Beisetzung von Joachim Fest folgende Worte gefunden:
"Wenn ich nicht dagegen wäre, Zustimmung mit Hilfe von Superlativen
auszudrücken, würde ich sagen, dieser Vater ist für mich die größte Figur
des vergangenen Jahrhunderts." (Rede abgedruckt FAZ 23.09.2006, S. 41). Die
für mich beeindruckendste Stelle im ganzen Buch ist die Szene, in der die
Mutter den Vater bittet, um der Familie wegen pro forma in die Partei
einzutreten, um die Lebenssituation der Familie zu verbessern. "Die
Unwahrheit sei immer das Mittel der kleinen Leute geen die Mächtigen gewesen;
nichts anderes habe sie im Sinn." Darauf antwortet der Vater einfach:
"Wir sind keine kleinen Leute. Nicht in solchen Fragen!" Es sind diese
Szenen, die beeindrucken und die dieses Buch lesenswert machen. Sie zeigen -
dies haben ja Sebastian Haffner in seinen "Anmerkungen zu Hitler" und
auch Ian Kershaw in seiner zweibändigen Hitler-Biographie deutlich gezeigt, wie
sich die meisten Leute dem Regime anpassten - aus Angst, aus Opportunismus,
aufgrund der Verblendung durch die "Erfolge" des Nationalsozialismus.
Doch die Familie Fest tat dies nicht. Fest zeigt - und sagte dies auch in einem
seiner letzten Interviews - dass eben nicht das gesamte Bildungsbürgertum zu
den Nationalsozialisten überlief. Und dies zeigt, dass mit eindimensionalen
Pauschalurteilen die Geschichte von "Verführung und Gewalt" (Ulrich
Thamer) eben nicht erzählt werden kann.
Fazit
Ein beeindruckendes Buch, für mich die interessantesten Erinnerungsbände seit
langem; möglicherweise sogar das "Erinnerungsbuch des Jahres."
Unbedingt lesenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 25. September 2006 2006-09-25 16:42:51