Im Rahmen eines Projekts an der Fachhochschule Hamburg hat Necla Kelek
verurteilte muslimische Straftäter interviewt. Anhand ihrer Biografien
charakterisiert sie die türkisch-muslimische Männerrolle. Die
Interview-Partner und sie selbst verstoßen damit gegen das Tabu, dass
Familienangelegenheiten nicht nach außen gelangen dürfen. Die Gebote der
islamischen Gemeinschaft werden von Männern formuliert, ihre Einhaltung wird
von Männern kontrolliert. Regeln müssen nicht erklärt, sondern befolgt
werden. Im Namen der Familienehre wird auch getötet und misshandelt. Das
patriarchalische Männerbild ist durch die Ansicht geprägt, dass Männer ihre
Triebe nicht beherrschen können. Frauen und Töchter sind im Haus zu halten, zu
kontrollieren und zu beschützen. Die ehemals vom Großgrundbesitzer, dem Aga,
beherrschten dörflichen Gemeinschaften in der östlichen Türkei sind bis heute
von der Angst vor Rache geprägt. Der Staat ist keine anerkannte Autorität.
Jungen lernen, dem Stärkeren zu gehorchen. Frauen hält man für unfähig,
männliche Kinder zu erziehen. Kritik, Selbstkritik und gesellschaftliche
Veränderungen sind nicht vorgesehen.
Die Autorin beschreibt anschaulich den Unterschied zwischen Kindern, die zu
Hause lernen "du sollst nicht stehlen" und denen, die erfahren
"du sollst deinen Vater nicht bestehlen; denn er wird dich
verprügeln". Den bewegenden Lebensgeschichten türkischer Immigranten in
deutschen Justizvollzugsanstalten ist gemeinsam, dass die Begriffe Schuld, Reue
oder Verantwortung für die befragten Männer nicht existieren. Die Familie hat
sie mit verschiedensten "Geschäften" beauftragt und sie hatten zu
gehorchen; Tötungsdelikte sind "wie Unfälle" passiert.
Aus muslimischen Parallelkulturen in Berlin und in Hamburg-Veddel berichtet die
Autorin, dass viele Familien ihre Traditionen durch Schulbildung ihrer Kinder
gefährdet sehen. Gewalt wird erlebt, befürwortet und selbst ausgeübt.
Fazit
Necla Kelek verknüpft in einem großen Rundumschlag ihre persönliche
Auseinandersetzung mit dem Islam mit der Lebenssituation ihrer muslimischen
Probanden. Sie rechnet mit den Themen Beschneidung, Opferfest, der Rolle der
Hodschas in muslimischen Gemeinden in Deutschland und der Fatwa ab. Die
Interviews sprechen für sich selbst, Kelek hätte sich nicht zu jedem Aspekt
des sehr lesenswerten Buchs selbst einbringen müssen. Wie auch in "Die
fremde Braut" fordert Kelek von deutschen Behörden, dass es keinen
"Naturschutz für Migranten" geben dürfe, sowie die Durchsetzung von
Deutsch als Verkehrssprache und verpflichtenden Schulunterricht ohne Ausnahmen
für alle muslimischen Mädchen und Jungen. Veränderungen will sie durch
strengere gesetzliche Vorschriften des deutschen Staates erreichen. Dabei hat
die Autorin gerade mit ihren Männer-Portraits im ersten Teil des Buches
deutlich gemacht, dass in Parallelkulturen die deutsche Gesetzgebung nur bedingt
wirksam ist. Von ihr als Wissenschaftlerin islamischer Herkunft hätte ich
andere Ideen erhofft als die Standardforderungen deutscher Politiker.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 20. September 2006 2006-09-20 16:51:02