Globalia im Jahr 27 der schönen neuen Überwachungswelt: der 20-jährige Baikal
will aussteigen. Schluss mit dem bequemen, synthetischen Leben unter einer
klimatisierten Glaskuppel. Schluss mit naturidentischer Nahrung und der
Verwaltung von allem und jedem durch den "Gesellschaftsschutz". Es
gibt kein Altern und keine Geschichte in Globalia, die Zeitrechnung beginnt alle
60 Jahre neu bei Null. Dadurch dass jemand zum "anerkannten Mongolen"
erklärt werden kann, schaltet die Führung Identität und persönliche
Erfahrungen gleich. Globalia ist der Aufbewahrungsort einer stagnierenden,
infantilisierten Gesellschaft.
Baikal hatte noch nie Grenzen akzeptiert. Schon seine Mutter hatte sich die
Schwangerschaft nicht von den Behörden genehmigen lassen, sondern einfach ein
Kind bekommen. Baikal flüchtet; der Fluchtversuch seiner Freundin Kate
misslingt. Gloabalia selbst ist nur ein winziger Teil der Welt. Baikal weiß
noch nichts über die "Non-Zonen" außerhalb Globalias. In den
Außenzonen herrschen Armut und Anarchie, eine neue Mafia herrscht. Einige
Menschen führen dort ein "vertraglich gesichertes Randdasein".
Baikals Flucht kommt gerade recht: die Herrschenden können in diesem Moment
einen neuen Feind sehr gut gebrauchen. Das "Büro zur Identifizierung von
Bedrohungen" tritt auf den Plan.
Zusammen mit dem Journalisten Puig, einem "anerkannten Katalanen" und
Fräser, der außerhalb des Systems überlebt hat, wechseln auch die Leser die
Perspektive. Der unbequeme Puig Pujols will über die Explosion einer Autobombe
recherchieren. Er wird sofort kalt gestellt und vom Alltagsleben abgekoppelt,
man nennt es "seine Karriere wird beschleunigt". Das herrschende
System hätschelt die Idee seiner fiktiven Bedrohung von außen; niemand
interessiert sich dafür, dass Globalia vielfältige Wirtschaftsbeziehungen zu
den Non-Zonen pflegt.
Globalia hat wenig Utopisches, Globalia ist schon da und Globalia ist überall.
Jean-Christophe Rufin überspitzt gegenwärtige Trends: das Abwälzen von
Verantwortung auf Polizei und Behörden, die Pflege von Feindbildern, den
Schönheitskult, die Gesetzesflut, die ständig neue Vorschriften hervorbringt
und nichts verändert (Migration, Zuwanderung, Flüchtlinge). Rufins Charaktere
sind lebendig geschildert, der Perspektivwechsel spannend.
Fazit
Ein absolut lesenswertes Buch eines Autors, der selbst Bürgerkriege erlebt hat.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 23. Juli 2006 2006-07-23 08:36:23