Ralf Georg Reuth hat mit seiner Hitler-Biographie ein Werk vorgelegt, welches
meines Erachtens in keinster Weise an die Standardbiographien von Haffner und
Fest, heranreicht. Die Bographie lässt jeden Zusammenhang zwischen
gesellschaftlichen Kräften und Mentalitäten einerseits und der biographierten
Person außer acht und führt alle Entwicklungen der Herrschaft des Dritten
Reiches auf den "Diktator Hitler" zurück. Dies ist auch bei der
Lebensbeschreibung eines einflussreichen Mannes einfach zu wenig. Natürlich
müssen Biographien sich schwerpunktmäßig auf die Person beziehen, die
beschrieben wird. Aber die neueren Hitler-Biographien von Haffner bis Kershaw
haben diese Aufgabe besser gelöst. Die Ursachen für Hitlers Aufstieg sind
vielfältig. So hat die Quellenlage heute eindeutige Belege, dass Hitlers
Antisemitismus sich in Wien herausgebildet hat. Wirtschaftliche Faktoren, die
zum Aufstieg Hitlers geführt haben, werden meines Erachtens stark
vernachlässigt; Versailles und Moskau - um den früheren preußischen
SPD-Ministerpräsidenten Otto Braun zu zitieren, waren eben nicht die einzigen
Faktoren für Hitlers Herrschaft. Und diesen Eindruck scheint die vorliegende
Darstellung zu vermitteln.
Am bedauerlichsten ist, dass der neueste Forschungsstand nicht berücksichtigt
wird. Das Quellenverzeichnis ist lückenhaft und beschränkt sich nur auf einen
Anmerkungsapparat, der wichtige Werke nicht enthält. Ein Literaturverzeichnis
fehlt dagegen völlig.
Insgesamt trotz flüssigem Stil enttäuschend und hinter die Standardwerke weit
zurückfallend. Auch vermisse ich - gerade bei einer Person wie bei Hitler -
neue Ideen oder Theorien. Wer über eine Person wie Hitler eine neue Biographie
schreibt, der muss entweder neue Quellen erschließen oder neue
Forschungsergebnisse vermitteln können. Und die Ergebnisse der neuesten
Forschung müssen erkennbar in die Darstellung einfließen. Dies ist hier in
keinster Weise der Fall. Daher frage ich mich auch, wer die Zielgruppe dieser
Lebensbeschreibung sein soll. Für Historiker ist das Werk aufgrund der oben
beschriebenen Mängel nicht brauchbar. Als Einführung für Schüler ist die
Biographie wiederum mit 685 Seiten zu umfangreich und zu wenig ergiebig. Und
auch für den historisch interessierten Laien ist das Werk aus den oben
genannten Gründen enttäuschend.
Fazit
Leider entspricht das Werk daher nicht meinen Erwartungen. Wer mehr über Hitler
erfahren will, sollte zu den Biographien von Haffner und Joachim Fest greifen,
die bis heute - neben der zweibändigen Biographie von Kershaw - die
Standardwerke zu Hitler geblieben sind.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 24. Juni 2006 2006-06-24 15:20:52