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Margareta Mommsen: Wer herrscht in Russland? Der Kreml und die Schatten der Macht

Wer herrscht in Russland? Der Kreml und die Schatten der Macht

von Margareta Mommsen
Verlag: Verlag C. H. Beck [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-406-51118-9

Preis: 4,95 Euro bei Amazon.de [Stand: 04. November 2024]
Wohin steuert Rußland unter Putin? Welche Innen- und Außenpolitik steuert der Präsident? Wie ist das politische System in Rußland zu charakterisieren? Diesen Fragen geht das neue Werk von Margareta Mommsen: "Wer herrscht in Rußland? Der Kreml und die Schatten der Macht" kompetent nach. Das Werk ist in gewissem Sinne als Ergänzung zu Mommsens früherer Publikation "Wohin treibt Rußland?" aus dem Jahre 1996 (ebenfalls Beck-Verlag) zu verstehen.
Ergebnisse: Ob sich Rußland auf dem Weg nach Europa befände, sei weiterhin unklar. Das politische System des riesigen Landes, welches man in Anlehnung an Wolfgang Merkel als "defekte Demokratie" beschrieben hat, sei auch mehr als zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch nicht vollkommen klar. Im Innern habe es bislang fehlende Klarheit über den Systemwechsel gegeben, die Optionen in der Außenpolitik seien unsicher geblieben. Nach den Terroranschlägen auf die USA am 11. September 2001 habe Wladimir Putin die russische Außenpolitik allerdings auf einekn klaren Westkurs gebracht, der sich im Verhältnis Moskaus sowohl zu den USA als auch zu Europa bis zum Sommer 2002 deutlich verstärkt habe. Dieser Wandel sei allerdings nur möglich gewesen, da es eine positive Dynamik an äußeren wie inneren Faktoren gebe, die diese Entwicklung begünstigten. Dazu gehörten die kumulativen Wirkungen der schon bisher erreichten Integration in die euro-atlantischen Strukturen zugunsten einer weiteren Verdichtung des Verhältnisses Rußlands zu Europa wie auch die ökonomischen Interessen der russischen bisnismeny sowie die vielfältigen Formen der direkten Kooperation zwischen Rußland und den europäischen Ländern etwa in Form von Städtepartnerschaften. Möglich wurde jedoch dieser Wandel in erster Linie durch die pragmatische Persönlichkeit von Präsident Wladimir Putin, dessen Lebenslauf und politische Konzepte insbesondere im Kapitel 3: Die "gelenkte Demokratie" unter Putin erläutert werden. Dieser wird als rationaler Modernisierer verstanden, der den Kurs konseqent in Richtung liberale Marktwirtschaft gestellt habe (S. 114). Fazit: Ohne Zweifel habe sich Putin in vielen Bereichen - in der Wirtschafts- und Sozialpolitik oder bei der Justizreform, für Neuerungen engagiert (S. 134). Insofern sei das Etikett eines "rationalen Modernisierers" des Landes durchaus angebracht. Andererseits ständen die plebiszitären Ansätze und die Bestrebungen, einen strikt hierarchisch gegliederten, bürokratischen Staat zu errichten, der Einschätzung Putins als "Europäisierer" klar entgegen.

In dem Buch werden sowohl die beiden Hauptakteure der russischen Politik, Jelzin und Putin, dargestellt. Dies rechtfertigt die Autorin damit, dass im postsowjetischen System in erster Linie Personen die Institutionen prägten und nicht umgekehrt. Über die poloitische Kultur der Akteure hinaus untersucht die Autorin die Funktionsweise dieser Institutionen. Insofern versteht sich die Darstellung sowohl als eine allgemeine Einführung in das politische Sstem Rußlands als auch als ein Beitrag zur Entwicklung und Funktionsweise informeller Herrschaftsstrukturen während der Ära Jelzin und unter Putin. Dabei verwendet Mommsen Erkenntnisse der Trasitionstheorien und der politischen Kulturforschung. Die Autorin verlgiecht außerdem nach klassischer Manier der Systemanalyse Verfassungsnormen mit Verfassungsrealität.

Herauskommt ein interessantes und plastisches Bild Rußlands unter Putin, welches seinen Weg noch sucht. Aufgrund zahlreicher Deutungen und Quellen sucht sie das "Rätsel Putin" zu lösen, eines Präsidenten, der praktisch über Nacht in die höchsten Ämter hineinkatapultiert worden sei und damit in die Lage versetzt worden sei, grundlegende politische Optionen und Entscheidungen treffen zu müssen, die Erfahrungen, Reflexion und Lernprozesse voraussetzen. Putin wird - in scharfer Abgrenzug zu Jelzin - als durchsetzungsstarker und lernfähiger Präsident portraitiert, ein Bild, welches seine Wirkung auf die Wähler, die in hohem Masse Sowjetmenschen gewesen seien, nicht verfehlt habe (S. 190). Ob Putin es schafft, sein Land als konstruktiven und stabilen Faktor in die Weltgemeinschaft einzuordnen? Die Autorin bilanziert: "Wenn der im Sommer 2002 übermittelte Eindruck zutrifft, daß Putin Antworten auf Rußlands ewige Fragen "Wer sind wir?" und "Wohin gehen wir?" gefunden hat und diese in der Westintegration und der "Europäisierung" des Landes zu suchen sind, so bleibt gleichwohl viel zu tun, um diesen Zielsetzungen zu Hause und im internationalen Umfeld näher zu kommen. Im Innern stehen entscheidende Impulse und Initiativen zu einer konsequenten weiteren Demokratisierung wie zur vordringlichen politischen Lösung der tschetschenischen Frage aus. Je entschlossener und konstruktiver der Zugang gerade zur Lösung dieser Probleme erfolgt, desto rascher und glatter lassen sich auch die Aufgaben der internationalen Integration Rußlands bewältigen. Zweifellos wird es nicht leicht sein, insbesondere die mentalen Barrieren gegen Rußlands erneuten Aufbruch nach Europa zu überwinden. Und dies gilt nicht nur für die Heimatfront, sondern auch für das westliche Ausland, wo sich ebenfalls schnell abrufbare negative Stereotypen aus den Zeiten des kalten Kreiges konserviert haben. Insofern fällt allen an einer "Europäisierung" Rußlands interessierten internationalen Akteuren die Aufgabe zu, sich an dem Unternehmen engagiert und vorurteilslos zu beteiligen. Immerhin hat Javier Solana, der hohe Repräsentant der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, schon im Frühjahr 2000 die ebenso hoffnungsvoll wie bedeutungsschwer klingende Aussage getroffen, daß zu Beginn des 21. Jahrhundets "die Partnerschaft mit Rußland die wichtigste Herausforderung" für die Europäer bildet."
Fazit
Dieses aktuelle Buch stellt die für mich aktuellste Einführung in das politische System Rußlands dar. Neben dem Buch "Russland unter neuer Führung: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts" aus dem Agenda-Verlag, in dem ebenfalls ein Beitrag der Autorin abgedruckt ist und den beiden bahnbrechenden Putin-Biographien von Alexander Rahr und Wolfgang Seiffert ist dies zweifellos das wichtigste Buch über Rußlands Weg unter Wladimir Wladimirowitsch Putin. Hervorragend ist auch, dass die Autorin nicht nur die westliche, sondern auch die russische Fachliteratur für ihre Analysen ausgewertet hat. Auch diese Tatsache macht das vorliegende Werk zu einer bislang unübertroffenen Analyse der politikwissenschaftlichen Transitions- und Kulturforschung. Unbedingt lesen!
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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 18. Januar 2003

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