Im Zentrum des vorliegenden, für die Fernuniversität Hagen konstruierten,
Lehrbuches über die deutsche Außenpolitik liegt der Schwerpunkt auf einer
problemorientierten Einführung anhand gängiger theoretischer und methodischer
Instrumentarien, wie sie in der Analyse von Außenpolitik und internationaler
Politik zur Anwendung kommen. Das Buch bietet keine historische bzw.
systematische Gesamtdarstellung deutscher Außenpolitik, wie dies etwa Gregor
Schöllgen, Helga Haftendorn oder Christian Hacke in ihren Werken getan
haben.
Das Buch führt im ersten Kapitel in den Begriff der Außenpolitik eni und
erläutert systemische und subsystemische Ansätze der Außenpolitikanalyse, wie
sie etwa der Realismus/Neorealismus oder der soziologische Institutionalismus
darstellen.
Kapitel 2 beleuchtet die Geschichte, die Entstehung und die Entwicklung von
Außenpolitik, wobei auch auf Begriffe wie Demokratisierung von Außenpolitik,
Europäisierung, Transnationalisierung und Globalisierung eingegangen wird.
Kapitel 3 untersucht die Frage, welche Institutionen und Personen im politischen
System der Bundesrepublik Deutschland Außenpolitik gestalten, bevor in Kapitel
4 die Theorie des Realismus bzw. Neorealismus als systemischer Ansatz in den
Internationalen Beziehungen (IB) erklärt und die Geschichte der deutschen
Außenpolitik zwischen 1871 und 1945 aus realistischer Sicht skizziert wird.
Interdependente Ansätze wie der der politischen Ökonomie in einem Handelsstaat
und die Theorie des soziologischen Institutionalismus werden in den Kapiteln 5
und 6 verwendet, um die Außenpolitik des "Handelsstaates" Deutschland
seit 1945 zu skizzieren, wobei auf die Integration Deutschlands in Europa und
Nato eingegangen und diese im Lichte dieser Theorien erklärt wird. Leider wird
auf die Theorie des Liberalismus, der einen Zusammenhang zwischen Innen- und
Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland skizziert hier nicht eingegangen.
Die starke Betonung, die Theorie des soziologischen Institutionalismus lege auf
gemeinsame Werte, Prinzipien und Normen wert (so wird etwa das Beharren
Deutschlands, auch nach der Wiedervereinigung in der NATO zu bleiben, primär
mit seinem Wunsch begründet, in der westlichen Wertegemeinschaft zu verbleiben
(S. 104). Dies stimmt zwar, allerdings scheint mir diese Erklärung eher aus der
Wechselbeziehung zwischen demokratischem System und Außenpolitik begründet zu
sein, also eher ein liberalistischer als ein institutionalistischer
Erklärungsansatz zu sein. Eine eingehende Darstellung und Erklärung der
deutschen Außenpolitik aus der systemischen Perspektive des Liberalismus sollte
in einer Neuauflage berücksichtigt werden.
Kapitel 7 untersucht Individuen und Außenpolitik, wobei dem Faktor
Persönlichkeit im untersuchten Zeitraum zwischen 1871 bis heute durchaus
Gewicht beigemessen wird und gezeigt wird, dass zwar nicht den "großen
Männern" gehuldigt werden soll, die Analyseebene des Individuums jedoch
bei einer Analyse der deutschen Außenpolitik nicht ausgeblendet werden kann,
wobei Individuum und Gesellschaft beide erst die Gesamtheit des historischen
Prozesses bilden, wie der Autor in Anlehnung an Immanuel Geiss feststellt. In
Anlehnung an einen Text von Byman und Pollack aus dem Jahre 2001 (leider im
Literaturverzeichnis, wie zahlreiche andere im Text erwähnten Quellen, nicht
enthalten!) werden Hypothesen über die Rolle von Individuen in der
Außenpolitik aufgezählt, die aus deutschem Blickwinkel von Interesse sind.
Kapitel 8 untersucht die Rolle von Bürokratien und Entscheidungsprozessen in
der Außenpolitik, wobei auf Modelle des rationalen Akteurs und seine
Alternative, die "Black Box" ebenso eingegangen wird wie - in
Anlehnung an die Studie von Allison/Zelikow über die Kuba-Krise - auf die
Modelle: Außenpolitik als "Organisatorischer Prozess" und
Außenpolitik als "Bürokratische Politik". Auch Typen von
Entscheidungssituationen (Routineentscheidungen, Planungsentscheidungen) werden
aufgeführt und Planungsentscheidungen am Beispiel von Egon Bahrs
Ostpolitik-Konzept erläutert.
Der Einfluss von Verbänden und Nichtregierungsorganisationen wird in Kapitel 9,
der der Öffentlichen Meinung in Kapitel 10 untersucht. Kapitel 11 widmet sich
dann der Frage, wie politische Kultur und nationale Identität (die in den
Kapiteln definiert werden) Entscheidungen in der Außenpolitik begründen, wobei
erörtert wird, ob die "Kultur der Zurückhaltung", die die
Außenpolitik der Bundesrepublik bis zur Wiedervereinigung prägte, beendet
wurde oder wiederkehrte. Die Politik Deutschlands im Golfkrieg, im Kosovo-Krieg,
der Anti-Terror-Einsätze und der Nichtteilnahme am Irak-Krieg werden unter
dieser Fragestellung untersucht und - leider recht kursorisch - beantwortet. Es
scheint so, dass trotz Veränderungen in der Haltung Deutschlands zur
Beteiligung an militärischen Auslandseinsätzen die Skepsis gegenüber bzw.
Ablehnung der gewaltsamen Regelung internationaler Konflikte nach wie vor weit
verbreitet ist. Hier vermisse ich eine Analyse der verschiedenen
Argumentationsmuster der einzelnen Politiker, wie es der Autor jedoch ein
Kapitel später (Kapitel 12: Außenpolitische Diskurse (hier geht er
ausführlich auf das Instrumentarium der Diskursanalyse ein) in Bezug auf
Begriffsveränderungen und Wandel in der deutschen Außenpolitik unter Bezug auf
eine Studie seines Mitautors und Mitarbeiters Rainer Baumann in Bezug auf den
Begriff Multilateralismus durchführt. In einem Ausblick stellt der Autor in
Kapitel 13 Szenarien über die Zukunft der deutschen Außenpolitik bis ins Jahr
2020 vor, wobei Hellmann unter Zuhilfenahme früherer Aufsätze die Alternativen
"Fortschreitende Normalisierung" und "Europäische
Konsolidierung" als mögliche Szenarien deutscher zukünftiger
außenpolitischer Entwicklung darstellt und begründet.
Insgesamt eine sehr gute problemorientierte Einführung in theoretische und
methodische Instrumentarien der Außenpolitikanalyse, die meines Wissens in der
Tat in dieser Form eines Lehrbuches einzigartig ist. Dies stellt eine große
Leistung dar. Natürlich kann diese Darstellung historische und systematische
Darstellungen, aber auch Analysen oder Empfehlungen, wie sie in dem Sammelband
von Stephan Böckenförde 2005 geliefert wurde, nicht ersetzen.
Fazit
Punktabzug gebe ich vor allem deshalb, weil die Literaturliste unvollständig
ist und zahlreiche im Text zitierte Literaturangaben in dieser Liste fehlen.
Inhaltlich vermisse ich - wie oben dargestellt - eine Analyse der Außenpolitik
unter der systemischen Theorie des Liberalismus. Angesichts der Fokussierung auf
außenpolitische Theorieansätze ist dies ein wirkliches Manko. Außerdem ist
das Kapitel über die politische Kultur der Zurückhaltung arg kurz gehalten.
Hier wäre es wünschenswert, eine Neuauflage entsprechend zu erweitern.
Ansonsten: lesenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 22. April 2006 2006-04-22 20:15:32