Hans Mommsen gehört zu den bekanntesten Forschern über die neuere deutsche
Geschichte, was seine zahlreichen Bücher und Aufsätze über die Weimarer
Republik und zum Dritten Reich belegen. Auf 235 Seiten legt er eine
eindrucksvolle Bilanz des Holocaust vor, wobei er auch auf die Ursachen des
Antisemitismus in Deutschland vom Kaiserreich bis zur Machtergreifung Hitlers
eingeht und sämtliche relevante deutsche und angelsächsische
Forschungsliteratur berücksichtigt.
Mommsen untersucht zunächst die Rolle des Antisemitismus in der Weimarer
Republik und seine Rolle beim Aufstieg der NSDAP. Hier bilanziert er -
zutreffend, dass sich das generelle politische Klima insbesondere der späten
Weimarer Republik gegen das deutsche Judentum zu wenden begann und die
ursprünglich im Bürgertum vorherrschende liberale und tolerante Einstellung
gegenüber dem Judentum verkehrte und verdrängte (S. 24/25). Insbesondere die
Durchdringung weiter Bereiche der öffentlichen Meinung mit antisemitischen
Ressentiments bildete den Hintergrund für die Tolerierung der NSDAP durch ihre
konservativen Partner, wobei Mommsen zutreffend bilanziert, dass der
Antisemitismus der NSDAP nach 1930 keine neuen Wähler brachte, so dass dieser
Aspekt in den entscheidenden Wahlkämpfen nach 1930 eher hinuntergespielt wurde,
um keine potentiellen neuen Wähler zu verschrecken. Dennoch war - insbesondere
in den politischen Eliten - die Feindschaft gegen Juden so stark ausgeprägt,
dass die Haltung in der "Judenfrage" als Indikator für den Verlust
der moralischen Grundlagen dieser Eliten betrachtet werden kann. Obwohl auch die
Mehrheit der Parteimitglieder - wie in Kapitel 2 gezeigt wird - nicht zur Gruppe
der "Radikalen" und damit zu den gewalttägigen und paranoiden
Judengegnern gehörten (S. 29), konnten diese sich durchsetzen, zumal die
antisemitische Propaganda Feindbilder schuf und somit von akuten
sozioökonomischen Problemen ablenken konnte und außerdem keine etablierten
gesellschaftlichen Interessen damit berührt worden sind. (S. 34-36). Stets
fungierte Hitler als der ideologische Motor in der "Judenfrage", wobei
er in der praktischen Umsetzung der anti-jüdischen Maßnahmen aufgrund
taktischer Überlegungen mit Rücksicht auf die Schonung seines persönlichen
Prestiges durchaus instinktiv flexibel reagieren konnte, wie Mommsen
überzeugend nachweist. Für Hitler stand der Propaganda-Effekt und damit die
Funktion eines ideologisch geprägten Feindbildes im Vordergrund seiner
Überlegungen zur Judenfrage. Nichtsdestotrotz radikalisierte sich das Regime,
wie in den folgenden Kapiteln (Entstehung der "Nürnberger Gesetze",
Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft,
Reichs"kristall"-nacht 1938) ebenso gezeigt wird wie der Übergang zur
physischen Vernichtung (Umsiedlungspolitik und Vision einer territorialen
"Lösung der Judenfrage" im zweiten Weltkrieg, der
"Rassenvernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und die Mordaktionen von SD
und Sicherheitspolizei, die in der Vernichtung von 5,3 bis 6,1 Millionen Opfern
gipfelte, der erschreckenden Bilanz des Genozids)eindringlich und erschreckend
in Anschluss an die bahnbrechenden Forschungen von Götz Aly, Wolfgang Benz,
Christopher Browning, Saul Friedländer, Peter Longerich, Dieter Pohl und Thomas
Sandkühler aufgezeigt wird.
Fazit
Neben der relativ kurzen und knappen Darstellung "Warum Ausschwitz?"
von Gunnar Heinsohn sowie den Publikationen von Wolfgang Benz und Dieter Pohl
zum "Holocaust" die beste Einführung zum Thema.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 30. März 2006 2006-03-30 12:45:35