Zum 250. Geburtstag Mozarts im Jahre 2006 sind zahlreiche Publikationen über
Mozart erschienen. Ein Juwel ist meines Erachtens die Mozart-Biographie von
Maynard Solomon, die mit zahlreichen Mythen bisheriger Geschichtsschreibung
bricht. Ursprünglich bereits in den USA 1995 erschienen, dauerte es 10 Jahre,
bis diese bahnbrechende Biographie auch auf Deutsch vorlag. Von Joseph Haydn
stammt der Satz: "Ich sage ihnen vor Gott,...[Mozart] ist der größte
Componist, den ich von Person und Nahmen nach kenne." Die bisherigen
Mozart-Biographien gehen überwiegend davon aus, dass sich insbesondere Leopold
Mozart um die Förderung seines Sohnes bemüht habe und sein Leben in den Dienst
des Sohnes gestellt habe. Solomon zeigt in seiner Studie, dass Leopold Mozart
durchaus nicht nur altruistische Motive bei der Förderung seines Sohnes hatte:
"Leopold Mozart hat aus der Wertschätzung, ja Ehre und aus seiner Rolle
als Erzeuger, Lehrer und Impresario eines so berühmten Geschöpfes Nutzen
gezogen und er nahm jede Gelegenheit wahr, die Produktionen seines Wunderkindes
in bare Münze umzuwandeln, wobei er außergewöhnlich hohe Summen für die
Europa-reisen seiner Familie kassierte" (S. 7). Mozart habe sich nur mit
Mühe von seiner Familie emanzipieren können, doch die Familie sei alles andere
als ein liebender Hort gewesen. Sie habe sich zu einer Art Schuldner-Gefängnis
entwickelt, dem Mozart nur mit äußerster Anstrengung entkommen konnte. Die
Heirat mit Konstanzes Weber gegen den Willen des Vaters zerriss denn auch alle
familiären Bande. "Leopold Mozart entwarf das Bild seines Sohnes als Ideal
eines aufklärerischen Lebenslaufes" - wobei er, Leopold Mozart, sich
niemals um die Maxime Rousseaus gekümmert habe, nach der "der Vater...in
dem Stande der Natur nicht länger Herr über sein Kind [sei], als solange es
eines Beistandes bedarf. Das Kind, welches dann von seinem Vater nicht mehr
abhängt, ist ihm wohl Ehrerbietung, aber keinen Gehorsam mehr schuldig."
So enterbte Leopold Mozart seinen Sohn aus Wut, dass Wolfgang Salzburg den
Rücken gekehrt und sich um die Anweisungen seines Vaters nicht kümmerte. Eine
eigenständige Persönlichkeit, ein eigenständiges Individuum, konnte Mozart
erst in Wien werden, also nach 1781, wo in der - im Vergleich zu Salzburg -
freieren künstlerischen Atmosphäre am Hof des Aufklärers Josephs II. seine
eindrucksvollsten Meisterwerke von der "Entführung" bis zur
"Zauberflöte" und dem "Requiem" entstanden sind. Der
"Mythos vom ewigen Kind" sei jedoch auch in Wien eine Zeit lang ein
Hindernis für seinen Erfolg als reifer Komponist und Virtuose gewesen, da er
genötigt gewesen sei, gegen jene anzukämpfen, die weiterhin der Meinung
geblieben seinen, er, Wolfgang, sei ein Wunderkind. Leider sei das Mozartbild
unmittelbar nach seinem Ableben durch Äußerungen seiner Schwester und seines
- vor Mozart bereits 1787 verstorbenen - Vaters bestimmt gewesen (S. 13).
Tendenziell hätten sie dazu gedient, Mozarts Intelligenz und seinen Charakter
herabzusetzen. Dieses Mozartbild sei in den Biographien des 19. Jahrhunderts
zustimmend und unkritisch übernommen worden.
Fazit
Diese interessanten Thesen stehen in dieser umstrittenen Biographie, die
brilliant geschrieben und durch intensives Quellenstudium (auch Primärquellen,
wie Zeitungen aus Salzburg, wurden herangezogen, das Quellenverzeichnis umfasst
rund 70 Seiten) gekennzeichnet ist. Für mich bis heute die interessanteste und
informativste aller bisher erschienen Mozart-Biographien. Dem Fazit von Edward
W. Said auf dem Buchrücken: "Ich kenne keine andere Biographie eines
Komponisten, die so überzeugend und zugleich so bewegend ist" kann ich
mich nur uneingeschränkt anschließen.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 28. Januar 2006 2006-01-28 17:34:04