Theo Sommer, langjähriger Chefredakteuer der "Zeit" bringt uns mit
diesem Band das vermutlich im Rückblick wichtigste Jahr für die Gestaltung der
Nachkriegsordnung, 1945, ins Bewußtsein. Im Gegensatz zu der Studie von Norbert
Frey geht es Sommer nicht darum, eine Nachbetrachtung über die Auswirkungen des
Dritten Reiches anzustellen. Sommer vermittelt präzise Zeitgeschichte. Ähnlich
wie Kempowski in seinen kollektiven Tagebüchern vermittelt Sommer aufgrund von
Erinnerungen und Schilderungen von Zeitgenossen eine wichtige Information über
das Jahr 1945, in dem die "Deutschen zwischen Hunger und Elend"
schwebten und "die Hoffnung erstorben" war. Beginnend mit der
wahnsinnigen Ardennen-Offensive Hitlers, den Überlegungen von Stalin, Roosevelt
und Churchill bis zu den Weihnachtsartikeln der Zeitungen 1945 zieht Sommer eine
nüchterne Bilanz des Jahres. Für mich sehr eindrucksvoll vor allem, dass
Sommer nicht nur auf Deutschland und Europa "zentriert" bleibt,
sondern auch die weltpolitischen Ereignisse, etwa die Entwicklung, die zum
Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki führte ("Mein Gott, was haben
wir getan?", bemerkte der Kopilot der "Enola Gay" zu seinem
Kommandanten, als der Bomber abdrehte, um dem Atompilz auszuweichen, S. 269)
werden ausführlich mit Rückblicken geschildert. Und diese Schilderungen im
Kapitel: "Die Bombe und der Tenno" finden sich zwar in Fachwerken
geschildert, jedoch weniger in den eurozentrisch ausgerichteten Schilderungen
über das letzte Kriegsjahr.
Fazit
Kurz: Theo Sommer hat ein - beeindruckendes - Kompendium über das letzte
Kriegsjahr vorgelegt, in der mir die persönlichen Erinnerungen des Autors zwar
etwas zu kurz kommen, die aber einen bleibenden Eindruck für uns Nachlebende
hinterlassen. Dem Fazit des Autors: "Den Deutschan hat das blutige, wirre,
entsetzliche Jahr 1945 eine ganz spezielle Hypothek hinterlassen. Entwurzelt,
wie sie waren, umhergewirbelt, ortlos und in die Ungewissheit gestoßen, hatten
sie keinen sehnlicheren Wunsch, als wieder Wurzeln zu schlagen, inmitten der
Trümmer eine feste Bleibe zu finden, am liebsten ein Haus zu gbauen. Auf
Sicherheit war ihr Verlangen gerichtet nach all der Unsicherheit, auf Ordnung
nach all der Unordnung, auf Ruhe nach so viel Unruhe" ist kaum etwas
hinzuzufügen. Ein eindrucksvolles Werk.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 22. Januar 2006 2006-01-22 11:14:49