Gregor Schöllgen hat mit dem vorliegenden Band einen soliden Überblick über
die deutsche Außenpolitik von 1871 bis heute vorgelegt. Im Gegensatz zu
ähnlichen Darstellungen von Klaus Hildebrand oder Sebastian Haffner lässt er
die deutsche Außenpolitik nicht mit dem Jahr 1945 enden, sondern nimmt auch die
Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 in den Blick. Hier
knüpft er an eigene frühere Publikationen, etwa "Der Auftritt" oder
"Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland" an. Insgesamt
bilanziert Schöllgen völlig korrekt, dass Hitler in keiner deutschen Tradition
gestanden hat, am wenigsten in der protestantisch-deutschen (S. 374). Hier
knüpft er explizit an Feststellungen Sebastian Haffners an, dessen Werke er als
eine der wenigen von Zeithistorikern zitiert. Ansonsten fällt bei dieser
kompakten Darstellung der deutschen Außenpolitik auf, dass sich Schöllgen
weniger auf Sekundärliteratur, also Bewertungen von Zeithistorikern, stützt,
als auf Primärliteratur, insbesondere die Akten zur Auswärtigen Politik der
Bundesrepublik Deutschland bzw. ihren Vorgängern. Dies hat den Vorzug einer
quellen- und zeitnahen Darstellung. Besonders gut gefallen hat mir auch, dass
Schöllgen - vermutlich aus diesem Grunde - der Versuchung widersteht, die
Geschichte rückwirkend, aus unserer heutigen Sicht, darzustellen. Er analysiert
wichtige Ereignisse, etwa die zunehmende deutsche Isolierung im Kaiserreich
unter Wilhelm II. immer aus Sicht der damaligen Akteure, die eben 1897 noch
nicht wissen konnten, wie die Entwicklungen bis 1914 verliefen. Dies gefällt
mir gut, weil die unmittelbaren Motive der Akteure zum jeweiligen Zeitpunkt, der
- gerade in jener Zeit - auch durch Entwicklungen im asiatischen Raum und des
japanisch-chinesischen Konfliktes beeinflusst wurden, dargelegt wurden.
Dennoch gibt es auch Kritikpunkte. So wird die Wechselwirkung zwischen Außen-
und Innenpolitik überhaupt nicht berücksichtigt, Außenpolitik scheint sich
für Schöllgen im "luftleeren" Raum abzuspielen. Hierfür ein
Beispiel: die - sicherlich folgenreiche - Kolonialpolitik Bismarcks ist - wie
Sebastian Haffner treffend dargestellt hat - hauptsächlich innenpolitisch
motiviert worden, um die england-freundliche Politik des damligen Kronprinzen,
Friedrich III., zu konterkarieren. Auf diesen Aspekt geht Schöllgen nicht ein,
weil Bismarck darüber nie offen gesprochen hat. Hier wird die Schwäche jeder
Quellenstudie deutlich; Quellen können nur insofern aussagekräftig sein, als
die wahren Motive der Akteure dort auch klipp und klar benannt werden. Und ob
die Deutschen jemals "aus dem Schatten Adolf Hitlers" treten, wie es
der Verfasser mehrfach postuliert, wage ich zu bezweifeln. Hier klingt für mich
- wie auch an den Stellen, die darlegen, die zwölf Jahre der
nationalsozialistischen Diktatur im gesamten Geschichtsverlauf müssten
relativiert und in eine gesamten Geschichtsbetrachtung eingebettet werden- der
Versuch an, sich der (lästigen?) Vergangenheit nicht mehr stellen zu müssen
und endlich (?) Normalisierung zu betreiben. Ähnliche Töne hatte Schöllgen
schon in seinem an sich gut lesbaren Buch: "Der Auftritt"
angeschlagen, in dem er die "Rückkehr Deutschlands auf die
Weltbühne" als neue Macht in der Mitte Europas (in Anlehnung an eine
Publikation von Hans-Peter Schwarz aus dem Jahre 1994)begrüßte. Recht hat
Schöllgen aber zweifellos darin, dass die Gründung des deutschen Reiches ein
Danäer-Geschenk gesesen ist und dass - hier wieder Haffner zitierend -
"der höchste Triumpf Bismarcks schon die Wurzeln seines Scheiterns
enthielt" (S. 19), weil eben eine neue Großmacht entstand, die sich eben
seit Wilhelm II. nicht als "saturiert" verstand, sondern - spätestens
seit 1897 - einen "Platz an der Sonne" ergattern wollte und somit mit
den anderen Mächten in Konflikt geraten und - durch die törichte Politik des
Kaisers und der deutschen Eliten (Stichwort: Flottenpolitik gegen England) - in
die Isolation geraten musste.
Fazit
Insgesamt bei weitem nicht so faszinierend wie Haffners: "Von Bismarck zu
Hitler" und nicht so detailliert wie Klaus Hildebrands: "Das
vergangene Reich", aber dennoch ist das Werk eine insgesamt solide erste
Einführung in die Außenpolitik, die diese bis in unsere Gegenwart
fortschreibt.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 30. Oktober 2005 2005-10-30 11:44:40