Oh traurig, traurig ist mir! Schweres Dunkel legt sich auf den fernen Westen,
das Land heiliger Wunder: Die früheren Leuchten brennen nieder und
verblassen!" Dieser prophetische Ausspruch von Alejek Chomjakov, eines
panslawistischen Dichters aus dem 19. Jahrhundert, kam mir in den Sinn, als ich
das Revolutionstagebuch Iwan Bunins las, welches erstmals jetzt auf deutsch
veröffentlicht wurde und ein schonungsloses Bild der russischen Revolution
vermittelt. Bunin ist sicherlich der bekannteste der russischen Schriftsteller
der russischen Emigrationswelle. Er erhielt für seine realistischen
Publikationen, unter anderem seine Erzählung: "Das Dorf" von 1910,
den Literaturnobelpreis 1933. Bunin entstammte einem alten Adelsgeschlecht und
erlebte dessen Niedergang mit. Ähnlich wie Anton Tschechow, von dem er stark
beeinflusst und freundschaftlich verbunden war, schildert er - wie Chomjakow
oben - den Niedergang Rußlands. Sein Schaffen kreiste um Rußland, seine
sozialen Probleme und seine landschaftliche Schönheit. Das "Dorf" war
Rußland. Er lehnte die Idealisierung des russischen Bauern und Volkstums, wie
es andere Schriftsteller taten, rigoros ab. Er steht immer auf der Seite der
"Erniedrigten und Beleidigten". Dies wird auch in seinem
Revolutionstagebuch ersichtlich, welches, wie Thomas Grob in seinem
hervorragenden Nachwort erklärt, ein apokalyptisches Bild des Untergangs der
russischen Kultur packend beschreibt. "Verfluchte Tage" sind mehr als
ein Tagebuch. Ein solches gab es zwar, wie Grob erläutert. Es wurde jedoch von
Bunin lediglich als Grundlage für die vorliegenden Aufzeichnungen verwendet. Er
arbeitete neue Quellen ein und hat bis in seine letzten Lebensjahre daran
gearbeitet. Wie Grob zu recht darstellt, rekonstruiert das Tagebuch das Chaos
und die Unordnung der Revolution. Gerüchte aller Art ersetzen die Gewißheit
über Gegenwart und Zukunft, überall wird Verfall sichtbar. Eine Szene macht
dies exemplarisch deutlich. Eine Dame klagt: "Wem geht es denn besser mit
den Bolschewiki? Allen geht es schlechter, und in erster Linie doch uns, dem
VOlk! Eine augetakelte Schlampe fiel ihr ins Wort, mischte sich naiv ein und
fing an, jeden Augenblick kämen die Deutschen, und dann müssten alle dafür
büßen, was sie angerichtet haben. "Ehe die Deutschen kommen, schlachten
wir euch alle ab", sagte der Arbeiter kalt und ging davon."
Wolfgang Kasack hat konstatiert: "Es [das Werk: "Die verfluchten
Tage", B.N.] gibt eine beklemmende Vorstellung vom Zusammenbruch Rußlands,
von der Klarheit, mit der Bunin das Kommende sah, nd vom Verhalten einiger
Schriftsteller unter den sich verschiebenenden Machtverhältnissen." Diesem
Diktum ist nichts hinzuzufügen. Am ehesten hat mich Nina Berberovas Erzählung:
"Die Damen aus Sankt Petersburg", die das Schicksal zweier Frauen auf
der Flucht vor revolutionären Truppen aus St. Petersburg thematisiert, an
Bunins Werk erinnert. Eine der beeindruckendsten Bücher der Gegenwart. Für
mich ist Iwan Bunin sowieso einer der größten, wieder zu entdeckenden
Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Ihn mit seinem Revolutionstagebuch wieder
neu zu entdecken, ist ein bleibendes, wenn in diesem Fall auch bedrückendes
Erlebnis, weil es zeigt, zu welcher Intoleranz und zu welchem Hass entfesselte
Ideologien fähig sind.
Fazit
Der Feststellung von Stephan Wackwitz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom
19. Oktober 2005: "Bunins Tagebücher...können einen immunisieren gegen
die Faszination, die hohe Ideen entfalten, wenn sie sich mit dem niedrigen
Ressentiment verbünden und mit diesem Bündnis "ihre Zeit gekommen
sehen", ist nichts hinzuzufügen.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 22. Oktober 2005 2005-10-22 11:24:54