Zunächst muss ich selber sagen: das kommunistische Rußland und die Zeit des
Nationalsozialismus haben mich immer interessiert. Besonders faszinierend fand
ich immer den Vergleich der beiden blutrünstigen Diktatoren in der ersten
Hälfte des "kurzen" 20. Jahrhunderts(Eric Hobsbawm), Hitler und
Stalin. Über beide Diktatoren liegt bereits aus der Feder von Allan Bullock
eine Doppelbiographie vor. Der Titel der vorliegenden Ausgabe impliziert
zunächst, dass der bekannte britische Historiker Overy einen ähnlichen Versuch
vorlegen würde. Dies tut er nicht. Die Herangehensweise Bullocks will er
ausdrücklich nicht wiederholen (S. 17). Sein Ziel ist es, dazu beizutragen, die
unterschiedlichen historischen Prozesse und Denkstrukturen zu verstehen, die
beide Diktaturen dazu brachte, Morde in einem so ungeheuren Ausmaß zu begehen
(S. 17). Dem Autor ist daran gelegen, über die Ansätze der
Totalitarismus-Theorie hinauszugehen und die ganz realen Unterschiede der beiden
zweifellos totalitären Regime darzustellen. Wie der bedeutende Historiker Hans
Ulrich Wehler in der "Zeit" zu recht festgestellt hat, ist eine
faszinierende Geschichte des stalinistischen Rußland und des
nationalsozialistischen Deutschland dabei herausgekommen. Theoretische Aspekte
kommen mir jedoch - leider - zu kurz. In Bezug auf Hitler hat sich der Begriff
der "charismatischen Herrschaft" in Anlehnung an Max Weber -
spätestens seit der voluminösen Standardbiographie von Ian Kershaw
durchgesetzt. Die - faszinierende - Frage, inwieweit Josef Stalin ebenfalls ein
charismatischer Herrscher gewesen ist, wird nicht erörtert. Denn es ist
eindeutig, dass sein zunächst mangelndes Charisma - im Vergleich zu Lenin und
seinem Rivalen Trotzki - dem "Bürokraten" Stalin bei seinem Aufstieg
- er wurde als die "personifizierte Mittelmäßigkeit" bezeichnet, die
er jedoch nie gewesen ist - ihm entgegen kam. Doch Personenkult und langjährige
Gewöhnung ließen ihn als Symbol der Sicherheit und "Gott" erscheinen
- anders sind die vielfältig bezeugten hysterischen Szenen anlässlich seiner
Beisetzung nicht zu verstehen. Waren beide Diktatoren stark oder schwach?
Inwiefern konnten sie ihren Willen durchsetzen? Hans Mommsen hat ja durchaus
provokativ im Zusammenhang mit Hitler einmal vom "schwachen Diktator"
gesprochen. Welchen Stellenwert hat eine Diktatur in einer wirtschaftlich und
sozial fortgeschrittenen und in einer rückständigen Gesellschaft? Nach welchen
Methoden wird der Diktaturvergleich durchgeführt? All diese Fragen, die etwa in
dem - hervorragenden - Buch: "Diktaturen im Vergleich" von Detlef
Schmiechen-Ackermann in der Reihe: "Kontroversen um die Geschichte"
angestellt werden (der Diktaturenvergleich im 20. Jahrhundert dort auf S. 62
ff.), werden hier - leider - nicht systematisch erörtert. Über eine -
letztlich bekannte, wenn auch detaillierte - Beschreibung des stalinistischen
Rußland und des nationalsozialistischen Deutschland kommt Overy letztlich nicht
hinaus. Warum überlebte der Nationalsozialismus seinen Gründer nicht, während
der Kommunismus immerhin den Tod Stalins 38 Jahre - also um die Hälfte seiner
Dauer - überlebte? Natürlich ist es von einem Einzelnen zu viel verlangt, eine
allgemeingültige Antwort auf solche Fragen zu haben; ich hätte mir aber mehr
gewünscht als eine - zugegenermaßen deskriptive - Wiederholung der
Ereignisgeschichte.
Fazit
eine gute, ja faszinierende Darstellung für den politisch interessierten Laien;
für den Forscher und Wissenschaftler meines Erachtens jedoch nicht
befriedigend, da diese Fragen nicht erörtert werden. Dies gilt auch für die
oben erwähnte Duo-Biographie von Bullock, die noch stärker lediglich die
beiden Persönlichkeiten Hitler und Stalin, nicht jedoch die Regime miteinander
vergleicht. Wer aber eine Einführung in die Geschichte beider Regime nachlesen
möchte, der ist mit diesem Buch gut bedient.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 21. Oktober 2005 2005-10-21 20:54:09