Das vorliegende Buch rezensieren zu können, ist für den Verfasser dieses
Beitrags ein ganz besonderes Vergnügen: George R. R. Martins Fantasy-Epos
"A Song of Ice and Fire" (in Deutschland: "Das Lied von Eis und
Feuer") gehört sicherlich mit zum Besten, was die Fantasyliteratur zu
bieten hat. Angesiedelt in einer Welt, wo die Jahreszeiten Jahrzehnte andauern
können, die Magie fast ganz erloschen ist und die Adelshäuser ein komplexes
Spiel um die Macht führen, und wo Verrat und Ehre oft austauschbar sind, gelang
es Martin, teils neue Wege zu gehen. Ähnlich wie Steven Erikson ("A Tale
of the Malazan Book of the Fallen"-Zyklus), Guy Gavriel Kay, Robert Jordan
("Wheel of Time"), Robin Hobb und andere gehört Martin zu den Autoren
der so genannten High-Fantasy. Man könnte auch sagen: sie bilden die Fraktion
der "Anti-Harry Potters". Vor allem Martin und Erikson haben jedoch im
Charakterbereich ein Element verstärkt eingefügt, was vor ihnen in diesem
Genre kaum eine Rolle spielte: die gebrochenen Helden. Kaum einer der Charaktere
dieser beiden Autoren entspricht dem ansonsten fast üblichen
Schwarz-Weiß-Muster, Hauptfiguren können unerwartet (und oft auch auf sehr
brutale Art und Weise) umkommen, und beide haben über viele Jahre hinweg eine
sehr authentische und äußerst komplexe Fantasywelt aufgebaut, die
ihresgleichen sucht. In Martins Welt fliessen viele historische Elemente ein: So
dienen für den Konflikt zwischen den Adelshäusern Stark, Lannister, Baratheon
und Targaryen, offenbar die Rosenkriege zwischen den Häusern York und Lancaster
des 15. Jahrhunderts in England als Hauptmotiv, wobei Martin dies aber nur als
Folie nutzt und ansonsten völlig eigenständig agiert - und dadurch eine sehr
viel komplexere Handlung ausbreitet.
Nach langer Wartezeit ist nun endlich der vierte Band von Martins "A Song
of Ice and Fire"-Reihe erschienen: "A Feast for Crows", wobei
Martin nicht alle gewünschten Elemente unterbringen konnte. Über Jahre
verzögerte sich das Erscheinen, weil Martin Passagen ändern und
Storyentwicklungen neu konzipieren musste. Die Fans waren relativ geduldig,
obwohl diese Verzögerung zu wilden Spekulationen in diversen Internetforen
führte. Eingefleischte Fans wissen schon seit einiger Zeit (dank dem Internet),
dass Martin viele Handlungsstränge in das nächste Buch der Reihe, "
A Dance with Dragons",
ausgliedern musste. Das vorliegende Buch behandelt deshalb nur einen Teil der
bekannten POVs (Charaktere, aus deren Blickfeld die Story beschrieben wird). Da
das Buch bisher nur im Vereinigten Königreich erschienen ist (in den USA wird
es erst im November veröffentlicht), und da außerdem bis zur deutschen
Übersetzung noch einige Zeit verstreichen wird, andererseits aber sicherlich
einige Fans sehr ungeduldig warten, werden in dieser Rezension nur einige
allgemeine Punkte angesprochen, die aber dennoch m. E. nach hilfreich bei einer
Kaufentscheidung sein können.
Die Handlung knüpft da an, wo das letzte Buch "A Storm of Swords"
sein Ende genommen hat: Die sieben Königreiche von Westeros sind von dem Krieg
der fünf Könige in weiten Teilen verwüstet. Robb Stark, Lord of Winterfell,
King in the North and King of the Trident, ist tot, ermordet während der
"Red Wedding", als er entgegen des Gastrechts von seinen ehemaligen
Verbündeten verraten wurde. Aber auch Tywin Lannister, die Hand des Kindkönigs
Tommen, ist nicht mehr unter den Lebenden, ermordet von seinem Sohn Tyrion,
genannt der Gnom, der in den Osten geflüchtet ist. Währenddessen reist die
totgeglaubte Arya Stark in die Freie Stadt Braavos, wobei ihr einziger Gedanke
ist, Rache zu nehmen für den Mord an ihrem Bruder Robb und dem Tod ihrer
Eltern, Eddard Stark und Catelyn Tully. Auch wenn sie nichts davon ahnt, sind
ihre anderen Geschwister aber noch am Leben: Während Bran erst im nächsten
Buch vorkommen wird (und Rickon erstmal außen vor bleibt), befindet sich Sansa
Stark unter dem "Schutz" des dubiosen Petyr Baelish, genannt
"Littlefinger", der versucht, die Macht im Tal von Arryn an sich zu
reißen und der dabei Interesse an Sansa zeigt, die seiner Jugendliebe Catelyn
immer mehr ähnelt.
Währenddessen verliert sich die königliche Regentin Cersei Lannister (die für
den Tod ihres Mannes, König Robert Baratheon und somit für die faktische
Machtübernahme durch das Haus Lannister gesorgt hat; siehe Martin: "A Game
of Thrones" sowie "A Clash of Kings" und "A Storm of
Swords") in der Hauptstadt King's Landing immer mehr in ihren
Wahnvorstellungen, nur sie könnte das Reich regieren - wobei Cersei die große
Allianz mit dem mächtigen Haus Tyrell immer mehr in Gefahr bringt. Ihr
Zwillingsbruder Jaime, genannt der "Königsmörder", mit dem sie
vorher ein inzestuöses Verhältnis gepflegt hatte, wendet sich immer mehr von
ihr ab und begibt sich schließlich in die Flusslande, um dort den letzten
verbliebenen Widerstand von Stark-Loyalisten zu brechen. Brienne von Tarth,
neben Cersei ein neuer POV-Charakter (einige, ursprünglich für den Prolog
gedachte POVs, wurden über das Buch verteilt), hat sich derweil auf die Suche
nach Sansa Stark gemacht, um damit ihr Versprechen gegenüber Lady Catelyn zu
erfüllen.
Samwell Tarly, ein Mann der Nachtwache, welche seit Jahrhunderten die durch eine
gewaltige Eismauer befestigte Nordgrenze der Sieben Königreiche schützt, und,
wie er selbst von sich sagt, ein Feigling ist, macht sich auf Befehl des
Lordcommanders Jon Snow auf den Weg nach Oldtown, um dort in der Citadel
unterrichtet zu werden, während die Nachtwache sich für den bevorstehenden
Kampf mit den "Others" rüstet - einer rätselhaften, fremden Rasse,
die auch in alten Erzählungen erwähnt wird und denen Stahl nicht anhaben kann.
Kaum jemand im Reich nimmt die Warnungen der Nachtwache ernst, und selbst
Stannis Baratheon, einer der Anwärter auf den Thron, der sich nach seiner
Niederlage gegen die Lannisters an die Mauer geflüchtet hat, plant vor allem
sein weiteres Vorgehen im Norden, um die Initiative wieder zu gewinnen.
Die an Wikinger erinnernden Ironmen hingegen planen ebenfalls ihre nächsten
Schritte: Nun befehligt von Euron Greyjoy, fallen sie in die "Weite"
ein (den reichen Territorien des Hauses Tyrell), die bisher von dem Krieg
weitgehend verschont wurde. Im südlichsten der sieben Königreiche, Dorne,
brodelt es nicht minder: Die Rufe, Rache an den Lannisters zu üben, die Jahre
zuvor, während des Bürgerkriegs gegen das damals herrschende Haus Targaryen,
auch Mitglieder der dornischen Prinzenfamilie umbrachten, und die nun für den
Tod von Oberyn Martell verantwortlich gemacht werden, werden immer lauter. Doran
Martell, Prinz von Dorne, scheint fast phlegmatisch geworden zu sein - doch er
verfolgt, ebenso wie viele andere, weitreichendere Ziele. Währenddessen
gelangen nach Westeros immer mehr Geschichten von einer Königin im Osten, die
drei Drachen besitzen soll - Daenerys Targaryen, das letzte überlebende Kind
des letzten Königs aus dem Hause Targaryen, Aerys II., der nun vor gut 17
Jahren von Jaime Lannister ermordet worden ist.
Der Stil Martins ist gewohnt erstklassig: Vor allem vielen kleineren
Erzählungen wird deutlich mehr Platz eingeräumt, wobei der gewohnte, eher
düstere Grundton beibehalten wurde. Gleichzeitig wird die Haupthandlung aber
weniger als erhofft vorangetrieben, wenngleich Martin durchaus die eine oder
andere Überraschung parat hat. Cersei und Brienne haben mir persönlich
insgesamt weniger zugesagt, was aber freilich Geschmackssache ist. Viele
Handlungen sind auch weniger miteinander verknüpft, als dies in den vorherigen
Büchern der Fall war; auch mag man sich darüber streiten, ob denn nun das Buch
unbedingt nötig gewesen ist und es nicht vielleicht doch sinnvoller gewesen
wäre, eine zusammenhängende und gestrafftere Darstellung aus den Büchern
"Feast" und "A Dance with Dragons" zu schreiben. Doch sei es
drum: das Buch ist keinesfalls schlecht, sondern wirkt im Gegenteil an einigen
Stellen deutlich ruhiger als die vorherigen Bände, wodurch die Handlung teils
intensiver auf den Leser einwirkt. Ein Leser, der sich ein zweites "Storm
of Swords" erhofft hat, wird sicherlich enttäuscht sein. Dennoch wäre es
auch unfair, Martin an seinem wohl bisher besten Buch zu messen, welchem, daran
sollte man sich erinnern, auch eine gewisse "Vorlaufszeit" durch
"A Clash of Kings" zur Verfügung stand. Daran gemessen dürfen wir
für "A Dance with Dragons" Großes erwarten - wie diverse
Preview-Kapitel bereits deutlich machen. Störender ist da schon eher das Fehlen
von lieb gewonnen Charakteren wie Tyrion und Dany sowie Jon (der im vorliegenden
Buch nur kurz und am Rande vorkommt). Dennoch ist eine Trennung nach
Handlungsorten - wenn man schon die Handlung aufsplitten will - auch m. E.
sinnvoller.