Hans-Peter Schwarz, Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
Politik, hat - in Anlehnung an frühere Publikationen, u.a. seinem Buch:
"Zentralmacht Europas" von 1994 eine interessante Analyse der
deutschen Außenpolitik vorgelegt. In der Schule der internationalen Beziehungen
gehört Schwarz zu den sogenannten konservativen Neo-Realisten. Diese sehen in
Staaten und ihren Interessen die entscheidenden Akteure in den Internationalen
Beziehungen. Interessen anhand der deutschen Staatsraison (die er in Anlehnung
an den Historiker Meinecke definiert) müssten - wieder - die deutsche
Außenpolitik bestimmen. Dies ist die Kernbotschaft seines Buches. Schwarz
konstatiert, dass mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes und seiner Bipolarität
das "Ende aller Sicherheit" gekommen sei. Daher sei es nicht
verwunderlich, dass nun auch Ratlosigkeit bei den Akteuren der deutschen
Außenpolitik vorherrsche. Mit der Außenpolitik der scheidenden rot-grünen
Regierung geht Schwarz deutlich ins Gericht. Schwarz, Adenauer-Biograph und
-bewunderer, sieht in diesem seinem Vorbild auch den genialen Außenpolitiker.
Er habe die Beziehung zu den USA als lebensnotwendig erkannt und gleichzeitig
eine enge Beziehung zu de Gaulle aufgebaut. Adenauers Grundsätze der
Europa-Politik, die er auf S. 51 darstellt, wären - insbesondere von rot-grün
verlassen worden. Zwar sei auch Adenauers europäischer Kurs mehr durch
Entschlossenheit gekennzeichnet worden als durch ein Übermaß konzeptioneller
Klarheit. Doch der entscheidende Fehler der Regierung Schröder/Fischer sei es
gewesen, den Konsens mit den USA aufzukündigen und "dialogunwillig"
zu sein. Zwar wird auch der "texanische Nationalismus" der Regierung
Bush kritisiert, jedoch sehr milde. Amerikas Geschichte habe sich immer dadurch
ausgezeichnet, dass das Pendel der US-Politik auch wieder in andere Richtungen
zurückgeschlagen sei. Dies sei ja jetzt, nach dem "Katzenjammer" des
Irak-Abenteuers, schon zu beobachten. Dass aber innerhalb kürzester Zeit sowohl
die Orientierung nach Europa als auch die atlantische Orientierung zu den USA
zerbrochen sei - durch maßgebliche Mitschuld der rot-grünen Bundesregierung -
hier argumentiert Schwarz genauso wie sein Kollege Christian Hacke, wenn auch im
Ton etwas moderater, sei gefährlich. Schuld daran sei auch die einseitige
Orientierung an Frankreich und dessen Präsidenten Chirac gewesen, der
Frankreich - wie Vorgänger de Gaulle - auf anti-amerikanischen Kurs gehalten
habe. Auch die Wahrnehmung der USA habe sich in Deutschland tiefgreifend
gewandelt. Man frage nicht mehr nach dem potentiellen Nutzen Amerikas, sondern
in erster Linie danach, wie gefährlich die USA seien. Nun ist dies nicht
alleine Schuld der Regierung Schröder/Fischer. Der Vorwurf aber treffe
insbesondere die Deutschen, die die aus Sicht von Schwarz kluge - Politik des
Ausgleiches zwischen europäischer Integration und gleichzeitiger Pflege der
atlantischen Partnerschaft verlassen hätten. Die gemeinsame europäische
Außen- und Sicherheitspolitik und die Idee einer europäischen
Verteidigungsautonomie sieht Schwarz deshalb auch skeptisch, weil sie sich
primär gegen die USA richte und mit dem zweiten Ziel deutscher Außenpolitik,
ein gutes Verhältnis zum verbliebenen Hegemon zu pflegen, nicht vereinbar sei.
"Wie schon angedeutet, resultiert die...Sympathie für eine Europäisierung
der Verteidigung in starkem Maß aus der weitverbreiteten Abneigung gegen
Amerika. (S. 135). Dies hält Schwarz für falsch. Man müsse nicht immer nur
mit Frankreich gehen, wenn dessen Interessen mit denen Deutschlands nicht
übereinstimmten. Es sei deutlich geworden, dass Paris und Berlin
unterschiedliche Interessen hätten (S. 139). Aus Sicht der französischen
Eliten sei die EU eine Funktion des französischen Nationalinteresses, während
Deutschland darin ein staatsähnliches Gehäuse suche, um Geborgenheit und
Sicherheit zu finden. Ein Kerneuropa - gerade mit Frankreich - läge auch daher
keinesfalls im deutschen Nationalinteresse. Dieses müsse wieder Kern der
Außenpolitik werden. Diese seien: Orientierung an die atlantische Gemeinschaft
(S. 283), die Konsolidierung der Europäischen Union und eine Weltpolitik
"mit Maß und Ziel". Auch die alte Bundesrepublik habe, aller
"Kultur der Zurückhaltung" zum Trotz, aktive Weltpolitik betrieben,
wenngleich zurückhaltend und stets an Amerika orientiert (S. 301). Deutschland
müsse entscheiden, wie es seine eigenen weltpolitischen Prioritäten defniiere.
Dabei spricht sich Schwarz für eine Zurückhaltung bei Bundeswehreinsätzen
aus. Insgesamt moniert er - zu recht - fehlende Nachdenklichkeit über
langfristige strategische Fragen. Außerdem schließt er sich dem Diktum
Friedrichs des Großen an (den er zitiert), dass nur ein wirtschaftlich starkes
Land "gute Außenpolitik" betreiben könne. Den wirtschaftlichen
Niedergang Deutschlands, den er - in Anlehnung an die Studie Hans-Werner Sinns
beklagt - bedauert er daher. Der wirtschaftliche Wiederaufstieg Deutschlands sei
daher notwendig, um "gute" Außenpolitik betreiben zu können. Dies
ist die vierte Leitlinie.
Insgesamt ein interessantes Buch mit vielen Anregungen. Der Verfasser zitiert
zahlreiche außenpolitische Kollegen aus Deutschland, den USA und Frankreich.
Mir bleibt allerdings unklar, warum Schwarz die - aus meiner Sicht bewährte -
Politik der "klugen Zurückhaltung", welche Bonner Tradition war,
nicht differenzierter beleuchtet. Die suffisant-höhnischen Bemerkungen, mit
denen er das Konzept der "Zivilmacht" seines Kollegen Hanns W. Maull
abkanzelt (anders ist die Fußnote 7 auf S. 17 nicht zu bewerten), leuchtet
nicht ein. Wenn Schwarz an anderer Stelle Egon Bahr attestiert, er sei ein
"Meister in der Kunst, outrierte, aber suggestiv entfaltete Thesen durch da
und dort eingestreute Sätze gegen Kritik zu immunisieren" (S. 326,
Fußnote 39), so trifft dies voll und ganz auf Schwarz zu. Mir ist ein
deutlicherer Standpunkt, wie ihn etwa Christian Hacke in seiner
Auseinandersetzung mit der rot-grünen Außenpolitik vertritt, lieber, da dieser
eindeutiger, aber zum Teil fairer und nicht so suffisant von "oben
herab" argumentiert wie Schwarz.
Fazit
Wenn man von diesen kritischen Anmerkungen absieht, so ist dies Buch durchaus
anregend und teilweise brilliant. Auf jeden Fall wichtig für die Analyse der
deutschen Außenpolitik.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 16. Oktober 2005 2005-10-16 09:31:08