Selbst dem anscheinend glücklichen Menschen dringt die potentielle Nichtigkeit
und Erbärmlichkeit des Seins in den Sinn, sei es angesichts der Absurdität des
alltäglichen Wechsels von Arbeit- und Freizeit, sei es Montagmorgens in
düsterer Zeit oder sei es einfach die Erkenntnis, daß es für das Erhabene auf
Erden, für Moral und Sittlichkeit, keine abschließenden Motive auf Erden
selbst gibt, sondern diese Motive immer ins Transzendente hineinreichen, ins
Gedankliche. Hierin begründete die Philosophie den pessimistischen Gedanken
zugleich materiell. Der Freitod - dies hatte Schopenhauer richtig erkannt - ist
nur eine andere Form der Bejahung des Lebens, da er aus der Verzweiflung am
nicht gelungenen Leben seine Kraft schöpft. Er ist damit kein Ausweg. Albert
Camus’ heroischer Existenzialismus - nach 30 Jahren immer noch herzhaft frisch
wie einst - geht davon aus, daß man pessimistisch leben kann, ohne dennoch
daran zu verzweifeln.
Die Grundfrage Camus ist daher, ob das Leben es rechtfertigt, gelebt zu werden.
So kommt Camus zu dem Schluß, der Absurdität des Seins - dem permanenten
Lebenserhalt durch Nahrung, Sorge und Arbeit neben wenigen Momenten nur
empfundenen Glücks - ein heroisches "Trotzdem" anzufügen. Der Mensch
stehe zwar dem Absurden seiner Existenz gegenüber. Er lebt aber mit dem
Absurden, indem es ihm nichts ausmache und er sich jeweils neu dem Leben stellt.
Ein guter Gedanke des Buches ist, daß Sisyphos, der dazu verdammt ist, den
Stein in Permanenz von Berg zu Berg - auf und ab - zu rollen, in den Momenten
glücklich ist, wo er bergab dem Stein nachgeht. Und trotzdem ist er immer
unterwegs - auch wieder bergauf und im Vertrauen darauf, daß er irdische
Probleme mit sich und auf Erden allein regeln muß und kann. Camus: "Der
Kamof gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns
Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." (159)
Kurz: Das Streben des Menschen nach Sinn, Freude und Behagen wird verneint und
somit der Fokus auf die eigene Existenz gerichtet. Die Wechselfälle des Lebens
gilt es darin anzuerkennen und kampfbereit zu sein - gerade in Zeiten des
lahmenden Wohlstandes, wo sich Woche für Woche zwischenfallsfrei ein Leben
müde erstreckt, welches vielerorts zwischen Sorgen um das abendliche Gassigehen
des Hundes kaum noch Schlüsselerlebnisse oder Momente der "Decision",
in denen es um Leben und Tod geht, in sich birgt. Es ist dies ein Leben, in dem
schon eine verspätete S-Bahn ein Weltuntergang zu sein scheint und man sich die
existenziellen Gefühle durch den Ersatz gruseliger Lettern in Billigmagazinen
herbeischafft, um sich abends niederzulegen und früh dieselben Tagesabläufe
gehetzt erneut abzuspulen. Alles absurd - und trotzdem geht es immer weiter.
Diesen Weg erfolgt Camus in seinem Essay auch immer weiter. Der Welt wird jeder
objektiv wahre Wert, jedes moralische Dogma aberkannt. Klare Einsichten und
Wahrheiten in Permanenz erreichen zu wollen erzeuge nur noch mehr an
Absurdität. Die hier angesprochene Mangelsituation in der sich der Mensch
befindet, wirft ihn schließlich auf seine eigene Existenz als letzter Instanz
der Erkenntnisfähigkeit zurück - Sisyphos geht seinen Weg - mühsam, allein
aber frei und mutig. So ist der moderne Mensch zum teleologischen Fehlschlag
verdammt und sich - trotzdem weiter lebend - darüber sogar bewußt:
"Wollte man die einzig bedeutende Geschichte des menschlichen Denkens
schreiben, so müßte man die Geschichte seiner fortgesetzten Korrekturen und
Ohnmachten verfassen." (30) Das absurde Gefühl ist also zunächst durch
die Unfähigkeit der Welt, auf menschliche Fragen zu antworten, bedingt. Auch
wenn der Verstand dem Leben jeden Sinn abspricht, bedeutet dies also nicht
notwendig, daß das Leben es nicht wert ist, gelebt zu werden.
Das Besondere an dieser Neuveröffentlichung ist, daß dieses Buch Camus’ eine
Haltung lehrt, die schon Hieronymus Lorm um 1890 philosophisch herleitete und
die neu ins Bewußtsein gerückt werden kann. Es ist die Haltung des
"grundlosen Optimismus", der den unglücklichen Menschen in den
Mittelpunkt rückt - und dazu gehören auch jene, die sich prompt als glücklich
bezeichnen würden. Es geht um den Menschen, der den irdischen Entbehrungen und
Mühen eine Heiterkeit und Ruhe gegenüberstellt. Es handelt sich um eine eigene
Art der Ästhetik. Sie weiß, daß allem menschlichen Schaffen die Idee
innewohnt, dem Vergänglichen und Absurden den Schein der Unvergänglichkeit
mutig selbst zu verleihen - trotz aller Tristesse und Müdigkeit. Es läßt sich
in der schlechtesten aller Welten optimistisch leben, wirken und trotzdem sehnen
und leiden. Die bewußte Tätigkeit dieser Haltung ist das denkende Betrachten.
Das Reich des grundlosen Optimismus - so ließe sich mit Lorm und ähnlich mit
Camus sagen - ist nicht von dieser Welt, die ihm Schranke zu sein scheint. Aber
er ist trotzdem in ihr vorhanden. Dies allein macht sie zur bloßen Grenze eines
besseren Reiches.
Fazit
Albert Camus’ Buch ist eine wichtige Lektüre für die philosophischen
Urprobleme: Freitod, Absurdität und Mut zum Weitermachen.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 23. Dezember 2009 2009-12-23 17:54:23