Herfried Münkler ist wohl einer der bekanntesten Politologen Deutschlands. Mit
seinem Buch "Die neuen Kriege" (Rowohlt: 2002) wagte er sich an ein
Thema heran, welches in Deutschland lange Zeit kaum Beachtung gefunden hat.
Ähnlich verhält es sich mit seinem neuen Buch "Imperien". Nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion schien es so, als würden Imperien der
Vergangenheit angehören. Dies änderte sich spätestens mit der Regierungszeit
von G. W. Bush jr., der einer unilateralen Politik den Vorzug gab und die Rolle
eines "gütigen Hegemons", den die USA lange Zeit im Westen ausgeübt
hatten, eintauschte gegen die einer nur auf ihre eigenen Interessen bedachten
Supermacht.
Münkler, ein Experte für den Bereich Ideengeschichte (war er doch
Mitherausgeber von "Pipers Handbuch der Politischen Ideen") und
hervorragender Machiavellikenner, versucht in komparativer Betrachtung
vergangener Imperien (wie dem Imperium Romanum, dem chinesischen Kaiserreich,
dem Steppenreich der Mongolen, den Seereichen der Portugiesen und Spanier, dem
zaristischen Russland und dem Britischen Empire) Grundmuster für die
Entwicklung von Imperien und ihren Mechanismen herauszuarbeiten. Vor allem
interessiert ihn, wie denn diese Imperien ihre Macht erhalten konnten. In
Anlehnung an Machiavelli und Polybios entwickelt Münkler ein zyklisches
Geschichtsverständnis: Imperien durchlaufen Zyklen, mal kleinere, mal
größere. Am Ende eines Zyklus kann ein Imperium zerbrechen oder aber es fängt
sich und durchläuft erneut einen Zyklus. Als Sollbruchstelle erweist sich für
Münkler die "augusteische Schwelle", eine Bezeichnung, die er dem in
Princeton lehrenden Wissenschaftler Michael Doyle entlehnt hat. Die Bezeichnung
leitet sich vom ersten römischen Kaiser Octavian, genannt Augustus ab. Sie
bezeichnet den Punkt, an dem die langlebigen Imperien wie das Römische Reich
und China die Expansion abschlossen und zur Konsolidierung des Imperiums
übergingen, wobei es gelang, die Peripherie des Imperiums an den Früchten des
Erfolgs des Zentrums teilhaben zu lassen und diese Gebiete somit stärker in das
Imperium zu integrieren. Ein Musterbeispiel dafür ist die von Augustus
begründete Pax Romana, der römische Frieden. Andere Imperien brachen nach
einigen Generationen auseinander oder begnügten sich mit der Rolle eines
kolonialen Ausbeuters, was ebenfalls zu deren Untergang führte.
Münkler bietet immer wieder Fallbeispiele aus der Geschichte, um seine Urteile
zu unterfüttern, wie den Vergleich des delisch-attischen Seebunds im 5.
Jahrhundert v. Chr. mit der heutigen Situation zwischen den USA und ihren
Verbündeten: in beiden Fällen war die Hegemonialmacht bestrebt, ihre Macht
über die Bündner auszubauen und unilaterale Entscheidungen zu treffen.
Freilich darf man solche Beispiele nicht zu weit führen, was Münkler auch
nicht tut, aber sie machen die Darstellung sehr plastisch, gerade wenn man das
leider vorhandene geschichtliche Desinteresse weiter Teile der Bevölkerung in
Rechnung stellt. Münkler versucht auch den Unterschied zwischen Hegemonie und
Imperium rauszuarbeiten, was ihm relativ gut gelingt, vor allem wenn man in
Rechnung stellt, dass in den vergangenen Jahrzehnten in der Forschung faktisch
kein Versuch unternommen wurde, eine empirische Untersuchung dahingehend zu
unternehmen, was überhaupt ein Imperium ausmacht; so erörterte der
Althistoriker Meiggs in seinem Standardwerk "The Athenian Empire" (was
leider in der vorzüglichen Literaturliste fehlt) an keiner Stelle, was denn
Merkmale eines Imperiums seien. Münkler glorifiziert die Imperiumsbildung
keineswegs, dämonisiert sie aber auch nicht. Er macht dem Leser außerdem
plausibel, dass der Vergleich der USA mit dem Imperium Romanum keineswegs an den
Haaren herbeigezogen ist, sondern durchaus seine Berechtigung hat, zumal die
Amerikaner sich selbst bewusst in diese Tradition gestellt haben - wobei sie
freilich eher als Erben der res publica libera gesehen werden wollen denn als
Erben des Prinzipats.
Im letzten Teil wendet sich Münkler der aktuellen Weltlage zu. Die USA stehen
seiner Meinung nach an der augusteischen Schwelle. Doch sind sie gleichzeitig in
der Situation, einem Europa gegenüber zu stehen, welches militärisch nicht
einmal ansatzweise an sie heranreicht, wirtschaftlich jedoch längst in
Konkurrenz zu den Staaten getreten ist und zudem in Teilen über eine
einheitliche Währung verfügt. Die USA müssten sich nun entscheiden: binden
sie Europa stärker ein oder aber versuchen sie es zu spalten und so zu
dominieren (was die Bush-Administration während des Golfkriegs 2003 recht
erfolgreich tat). Für Münkler jedenfalls steht fest, dass die EU den Schritt
zum Imperium machen muss. Tatsächlich würden bereits teils imperiale Aufgaben
wahrgenommen, doch stünde das demokratische Selbstverständnis der EU (bzw. des
europäischen Einigungsprozesses) diesem Prozess im Weg.
Fazit
Münklers Studie ist gut geschrieben und klug durchdacht. Er arbeitet die
strukturellen Schwächen von Imperien und auch ihre Stärken gut verständlich
auf, wobei jedoch die aktuelle Lage der Schwellenländer China und Indien leider
nicht berücksichtigt wird. In Deutschland jedenfalls fehlte bisher ein
derartiges Buch, wobei es auch als ein Leitfaden durch die Flut von Literatur
und Forschungsmeinungen bezüglich der Frage dienen kann, ob die USA
tatsächlich auf dem Weg zum Imperium Americanum sind, zumal Münkler die
aktuelle Forschungsliteratur mustergültig rezipiert und ein breites Spektrum
von geschichtlichen Beispielen anführt.
Ein großartiges Buch, das zum Nachdenken anregt und welches bereits für viel
Diskussion gesorgt hat und auch in Zukunft sorgen wird.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 10. Oktober 2005 2005-10-10 17:23:31