Nicht wenige halten Tad Williams für den legitimen Nachfolger von Tolkien und
seinen Otherland-Zyklus für so bedeutend wie den Herrn der Ringe. Fakt ist,
dass Otherland auf jeden Fall zu den modernen Klassikern der SF- und
Fantasyliteratur gezählt werden muss.
Jetzt hat der Hörverlag in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Rundfunk die
schier unmögliche Aufgabe übernommen, Williams' 3.500 Seiten starke
Fantasy-Saga als Hörspiel zu vertonen. Doch worum geht es in dem Epos, das den
Bogen spannt zwischen der realen Welt und einer Virtuellen? Ein elitärer Kreis
von unvorstellbar reichen Menschen ist dem Ziel, sich ewiges Leben zu
verschaffen, ein großes Stück näher gekommen. Das Ziel dieser Gralsbrüder
sind jedoch die Schwächsten der Gesellschaft: Kinder, die in ein Koma verfallen
und als willenlose Kraftspender dienen sollen. Im ersten Teil "Stadt der
goldenen Schatten" beginnt die Computerspezialistin Renie Sulaweyo damit zu
ergründen, warum Ihr Bruder Stephen ins Koma gefallen ist. Zusammen mit ihrem
Freund Xabbu macht sie sich auf in die Weiten des virtuellen Universums.
Dies ist jedoch nur die kleine Oberfläche einer komplexen Handlung mit
unzähligen Handlungssträngen, bei denen man sehr schnell den Überblick
verlieren kann, wenn man ihn denn überhaupt findet. Denn bei aller Genialität
muss man schon verflucht gut aufpassen, um Williams Welten zu verstehen. Ohne
Rücksicht springt die Handlung von den Schlachtfeldern des ersten Weltkrieges
in die heutige Welt und weiter in eine Onlinewelt, in der es von merkwürdigen
Gestalten nur so wimmelt.
So verworren die Geschichte auch ist, so genial ist die Hörspielumsetzung. Mit
einem noch nie da gewesenen Aufwand wurde aus Williams Werken ein insgesamt 24
Stunden langes Hörspiel, dessen vier Folgen in jeweils sechs CD-Boxen
erscheinen. Nicht weniger als zwölf Erzähler und über zweihundert Sprecher
waren nötig, um Williams Universum zum Leben zu erwecken. Unter den Sprechern
befinden sich so bekannte Schauspieler wie Sylvester Groth, Hans-Peter
Hallwachs, Udo Schenk oder Nina Hoss. Abgerundet wird dieses Hörspiel durch den
Soundtrack von Pierre Oser, dessen musikalisches Schaffen auf dem Schwerpunkt
Spielfilm liegt und der den jeweils passenden Klangteppich erzeugt.
Fazit
Inhaltlich ist "Stadt der goldenen Schatten", wie der gesamte
Otherland-Zyklus,bestimmt nicht jedermanns Sache. Man muss schon ein Fan von Tad
Williams sein, um sich bedingungslos für dieses Werk zu begeistern. Dazu ist
die Geschichte zu verworren. Allerdings muss man neidlos anerkennen, dass diese
Hörbuchproduktion absolut gut gelungen ist und es sich daher auf jeden Fall
lohnt, sich etwas näher mit der Otherland-Saga zu beschäftigen.
Vorgeschlagen von Michael Krause
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veröffentlicht am 22. September 2005 2005-09-22 22:25:11