Wer eine Verschwörung gegen die herrschen Sozialordnung vermutet, neigt allzu
leicht dazu, der Konstruktion einer Metawelt anheim zu fallen, in der Tatsachen
und Fiktionen sich vermengen. Dazu gehört z.B. die sehr bekannte
Vorstellungswelt von einer jüdisch-plutokratisch-bolschewistischen
Doppelverschwörung gegen Deutschland, wenngleich dabei trotzdem nicht
bezweifelt werden muß, daß der Bolschewismus in Deutschland nach 1945
eindeutige Ziele verfolgte. Es geht also lediglich um die Trennung von Wahrheit
und Dichtung.
Mit dem vorliegenden Buch liefert der Bibliothekar an der Universität
Bielefeld, Johannes Rogalla von Bieberstein, eine wissenschaftlicher
Pionierarbeit zur Genese und zum politischen Wirksamwerden der Vorstellung von
einer umfassenden Verschwörung der Freimaurer ab. Es kann als tiefer gehendes
Werk ergänzend zum viel beachteten Buch "Jüdischer Bolschewismus: Mythos
und Realität" des Autors gelesen werden, denn beide sind Meilensteine der
Forschung auf ihrem Gebiet. Die Ereignisse von 1789, die Französische
Revolution, sind von Konterrevolutionären in ganz Europa oftmals als Folge
einer Freiheitswut verschworener Feinde der Monarchie und der alten Ordnung
gesehen worden. Die Drahtzieher der Revolution wurden in aufklärerischen
Kleingruppen vermutet, die schon damals als "geheime Gesellschaften"
bezeichnet wurden. Die Arkanpraxis der Aufklärung ist dennoch eine fragwürdige
Sache, deren Grund es zu suchen gilt, sorgte sie doch gerade dafür, dem
Verborgenen böse Absichten zu unterstellen. Jürgen Habermas vermutete einst,
die Ursache der aufklärerischen Arkanpraxis sei die Angst vor öffentlichem
Gebrauch des Verstandes gewesen, wozu der Philosoph Kant gerade aufforderte. Der
Dichter Lessing aber meinte, das Ziel der Freimaurer sei, die Staaten so weit
wie möglich zu erübrigen, und hier verwundert es nicht, das derartiges nur im
Verborgenen artikuliert werden konnte.
Ob nun Philosophen, Dichter, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als
Verschwörer gegen die Sozialordnung gelten oder nicht - der Autor erzählt die
komplexe Genese des Denkens darüber. Das Buch über den Mythos von der
Verschwörung legt dar, wie die vielfach von Angst und Panik geplagten Menschen
die tieferen Ursachen der sie persönlich umtreibenden und gefährdenden
Umwälzungen zu erfassen suchten. Die von diesen ermittelten, im verborgenen
wirkenden Verschwörer hätten zunächst in den Verschwörungsspelunken der
Freimaurerlogen die geistige Ordnung der Königreiche untergraben und dann 1789
die göttlich gestiftete Ordnung von Thron und Altar umgestoßen. Den
Republikanern Frankreichs werden der Königsmord und die blutigen Verfolgungen
der Priester, Adeligen und religiösen Bauern Frankreichs zur Last gelegt.
Dieses satanische Unterfangen sei von dem radikal-freimaurerischen deutschen
Illuminatenorden, der im Buch vorgestellt wird, ausgeheckt worden! Im 19.
Jahrhundert wurde diese Verschwörerthese, die eine konterrevolutionäre und
konservative Reaktion auf die Umbrüche von 1789, 1848 und schließlich die
Oktoberrevolution von 1917 darstellte, kontinuierlich modernisiert. Sie ist
dabei radikalisiert worden und erhielt im Hinblick auf prominente Führer der
russischen Oktober-Revolution, die neben dem Zaren unzählige Priester und
Klassenfeinde liquidierte, einen bösartigen antijüdisch-rassistischen
Akzent.
In Frankreich nahm man schon 1789 eine besondere Gattung von gerade deutschen
Jakobinern wahr, zu denen Kant und Fichte gezählt wurden, weil sie das Projekt
"Zum ewigen Frieden" vertraten, welches in Wahrheit der Welt einen
kannibalischen Krieg bringe und das Welt-Bürger-Reich ohnehin nicht zu
erreichen sei. Weil zudem die in der Freimaurerei üblichen
naturrechtlich-aufklärerischen Vorstellungen die Emanzipation des Judentums
eingeleitet hätten, wurden die Juden mehr und mehr in den Mittelpunkt gerückt
und galten auf christlich-konterrevolutionärer Seite nach 1789 als Nutznießer
des Emanzipationsprozesses. Der Autor ergründet die antifreimaurerischen
Ressentiments gegen die als Vorläufer des Antichristen angesehenen sozialen
Bewegungen, die Wege der Kritik an der revolutionären Emanzipationsideologie
und zeigt auf, daß schon in Deutschland bereits vor 1789 Neigungen bestanden,
den Freimaurern unerwünschte Entwicklungen zur Last zu legen.
Wenngleich abschließend festzustellen ist, daß die Verschwörungsthese nicht
nur Verdächtigungen, sondern Verfolgungen der schlimmsten Art begünstigt hat,
so ist andererseits doch dies einzuräumen: Unter ihren Propagatoren und
Anhängern haben sich neben zynischen Machttechnikern auch solche befunden,
welche in freilich dunkler und verzerrter Form subjektiv ehrliche Sorgen
formuliert haben. Dies ist umso mehr einzuräumen, als kritische Vertreter des
Modernismus zubilligen, daß der Fortschritt bzw. der soziale Wandel nicht
selten von gefährlichen Verirrungen begleitet wurde. All dies hatte freilich
mit Freimaurern oder gar einer freimaurerischen bzw. freimaurerisch-jüdischen
Verschwörung wenig zu tun.
Fazit
Das Buch zeigt in letzter Konsequenz kompetent auf, wie zu politischen
Religionen gewordene und auf Seiten ihrer Gläubigen keiner rationalen
Widerlegung zugängliche Verschwörungsmythen den Gegner diabolisieren und
hemmungslosen Hass auf Dissidenz und Abweichlertum produzieren. Dies geschieht
sehr leicht, und selbst in den so genannten westlichen Demokratien ist diese
Tendenz gegenüber politischen Gegnern jedweder Art immer noch vorhanden.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 25. Januar 2009 2009-01-25 16:12:02