Im vergangenen Jahr jährte sich zum 60. Mal der Todestag Stefan Zweigs, der
sich in Brasilien - aus Verzweiflung über den Zweiten Weltkrieg und die
Verbrechen des Nationalsozialismus - das Leben genommen hat. Seine
hervorragenden Biographien, Essays und Erzählungen liegen daher vollständig
vor. Besonders fasziniert hat mich - schon als Kind - immer wieder die
Biographie des Polizeiministers Napoleons, Joseph Fouche. Gezeichnet wird hier
meisterhaft das Portrait eines politischen Opportunisten ersten Ranges. Joseph
Fouche, Sohn von Kaufleuten, wird Priesterlehrer (ohne das Gelübde zu leisten),
schließt sich dann der Revolution an. Er votiert - nach langem Zögern - als
Abgeordneter der Nationalversammlung für den Tod des abgesetzten Ludwigs XVI.
und erlangt traurige Berühmtheit als Henker von Lyon und Plünderer der
Kirchen. Doch als sich der Wind wendet, sagt er sich ohne Skrupel von seinen
früheren Überzeugungen los. Faszinierend beschrieben seine Auseinandersetzung
mit Robespierre, dem führenden Politiker der französischen Revolution, zu
dessen Sturz er entscheidend beiträgt. Er dient sowohl dem Direktorium als auch
dem aufsteigenden Napoleon als Polizeiminister. Meisterhaft in seinem
psychologischen Falkenblick beschreibt Zweig die wechselseitige Abhängigkeit,
die Hass-Liebe zwischen dem heißblütigen impulsiven Napoleon und dem
"seelischen Kaltblüter" Fouche - der von Napoleon zwar mehrfach
abgesetzt wird, jedoch in Krisen wieder auftaucht. 1808, während des Krieges
gegen Spanien, verbünden sich die beiden Feinde Talleyrand und Fouche (die sich
charakterlich sehr ähnlich sind) kurzzeitig gegen Napoleon - was diesen mehr
erschreckt als verlorene Schlachten. Zunächst erweist sich Napoleon als der
Stärkere, Fouche wird mehrfach ins politische Exil verschickt. Doch am Ende ist
es Fouche, der - wie bei Robespierre - die Verschwörung gegen Napoleon
organisiert und seinen Sturz herbeiführt - und Ludwig XVIII. zur Macht
verhilft. Dies ist sein entscheidener Fehler, wie Zweig hervorragend schildert -
denn die neue königliche Regierung brauchte zwar das politische Genie Fouches
zur Erringung und Festigung der Macht - doch insbesondere die Herzogin von
Angouleme, die Tochter Ludwigs XVI. erzwingt seinen endgültigen Sturz und
bitter sind seine letzten Tage in Linz und Triest - denn so wie Fouche alle
seine Mitstreiter verraten hat, so hält auch keiner mehr zu ihm, als er
endgültig nicht mehr gebraucht wird und einsam und verbittert am 26. Dezember
1820 stirbt.
Dieses meisterhafte Portrait dieses genialen, aber sehr skrupellosen Politikers
stammt bereits aus dem Jahre 1929. Wie sehr die Psyche dieses Mannes
"aktuell" war, ist daran belegt, dass Stalin seinen Geheimdienstchef
Jagoda 1937 entließ, nachdem Zweigs Biographie in Rußland erschienen war.
Jagoda hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit Fouche, so Robert Payne in seiner
Stalin-Biographie und die Äußerung Napoleons auf Elba: "Ich habe nur
einen Verräter gekannt - Fouche" - dürfte den misstrauischen Stalin
bewogen haben, Jagoda - neben anderen Gründen - als Geheimdienstchef
abzusetzen. Dies zeigt, welche "Auswirkungen" eine Biographie haben
kann. Auch heute dürfte dieser Politikertyp nicht ausgestorben sein - allgemein
wird beklagt, dass Macht und Prinzipienlosigkeit bei handelnden Politikern nach
wie vor stark anzutreffen ist. Diese können sich bestätigt fühlen durch die
Biographie ihres politischen Lehrmeisters - und sollten doch zugleich durch sein
Schicksal gewarnt sein; Prinzipienlosigkeit zahlt sich letztlich eben doch nicht
aus. Dies verdeutlicht zu haben, darin liegt das Verdienst des Meisters Stefan
Zweig.
Fazit
Wer sich für historische Biographien interessiert, dem sei zu sagen: unbedingt
lesen !!!!
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 31. Dezember 2002 2002-12-31 00:00:01