Die Einschätzung Asiens durch Europäer schwankt zwischen folkloristischer
Verklärung und überholtem Hochmut gegenüber "Entwicklungsländern".
Doch statt allein höflich lächelnde Pauk-Schüler hervorzubringen und uns mit
Billig-Spielzeug zu versorgen, konkurrieren asiatische Länder inzwischen mit
der restlichen Welt um knappe und kostspielige Energie-Vorräte. Deutsche
Arbeitnehmer fürchten die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze in
Billig-Lohn-Länder. Die Einführung eines chinesischen Billig-Autos auf dem
europäischen Mark konnte sich noch vor kurzer Zeit niemand vorstellen. Wir
verklären aus der Entfernung Sushi und Aikido; asiatische Eliten - an
amerikanischen Universitäten erstklassig ausgebildet - kritisieren unterdessen
knallhart die wirtschaftlichen Verhältnisse der sich ihnen überlegen
fühlenden demokratischen Staaten.
Während wir Frieden und Wohlstand für ein verbrieftes Recht halten, werden in
Asien Tausende in ein Leben ohne soziale Hängematte entlassen. Ehrgeizige,
bestens ausgebildete junge Fachkräfte drängen auf den Welt-Arbeitsmarkt. Das
Durchschnittsalter in Indien beträgt 26 Jahre, das in Deutschland 40 Jahre.
Während wir asiatische Kulturen als stark religiös geprägt wahrnehmen,
befinden sie sich längst im Umbruch: Überalterung droht dort eher als im
Westen, gewohnte Familien-Modelle werden in Frage gestellt, die junge
Generation ist an westlichen Konsum-Gewohnheiten orientiert.
Am Beispiel Chinas beschreibt Buchsteiner, wie nach der "mentalen
Entkernung unter Mao" ohne historische Fesseln schonungslos experimentiert
und ein materialistisch-atheistisches System etabliert wurde. Der Autor
kritisiert, dass Chinas Entwicklung zur Weltmacht von Europa entweder gar nicht
wahrgenommen oder relativiert wird. Niemand mag sich vorstellen, dass in 30
Jahren die Welt von einer G3 aus China, Indien und den USA regiert werden
könnte. Auch enge Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Iran und China, die
nukleare Zusammenarbeit zwischen China, Nordkorea und Pakistan sind bei uns kein
Thema. Dass Asien bisher fälschlich als reiner Absatzmarkt betrachtet und noch
nicht als Konfliktherd erkannt wurde, erklärt Buchsteiner mit der überholten
Sichtweise ehemaliger Kolonial-Staaten. In Europa werde viel zu wenig über
asiatische Staaten gelehrt und gelernt.
Buchsteiner portraitiert Indien als Dienstleistungs-Zentrum der Zukunft, die
Atommächte Korea und Pakistan, sowie die Konfliktherde Kaschmir, Taiwan und
Korea. Er skizziert die Situation in der islamisch geprägten und
US-Amerikanisch dominierten Region Afghanistan-Pakistan-Indonesien. Mit über
700 000 in Asien stationierten Soldaten zeigen die Amerikaner dort
Militärpräsenz. Um die Sympathie junger Asiaten brauchen die USA nicht zu
werben; denn die junge Generation wird geprägt von Einkaufs-Mall-Kultur und
raubkopierten amerikanischen Filmen, ihr Englisch ist Amerikanisch. Doch statt
kulturell und bildungspolitisch Präsenz zu zeigen, spart Deutschland seine
wenigen kulturellen Brückenköpfe ein. "Von allen gemocht, von niemandem
gefürchtet" sei das Dorf Deutschland ins Abseits geraten.
Nachtrag 2008:
Seit dem Erscheinen der Hardcover-Ausgabe im Jahr 2005 hat die chinesische Firma
Jiangling Motors mit ihrem Geländewagen Landwind Aufmerksamkeit erregt. Auch
der indische Autoherstellers Tata lenkte mit der Ankündigung eines preiswerten
Kleinwagens den Blick auf die wachsende Wirtschaftsmacht Indien. Während
Europa nach wie vor auf eigene Probleme zentriert ist und die Staaten Asiens
weiter als reine Absatzmärkte und Billig-Produzenten wahrnimmt, rückten
aktuelle Ereignisse inzwischen China wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen
Interesses. Buchsteiner stellt kritisch fest, dass unsere Aufmerksamkeit
stärker von Urlaubsreisen, Literatur und Waren aus Asien erregt wird, als von
drängenden sicherheitspolitischen Herausforderungen durch nationalistische
Bewegungen oder Fragen des Umweltschutzes. Der Autor möchte den Blick seiner
Leser auf die Wirtschaftskraft Asiens richten und auf die Fähigkeit asiatischer
Staaten, Krisen und Spannungen zu meistern. Nüchtern konfrontiert Buchsteiner
mit dem europäischen Desinteresse an bewaffneten Konflikten und der nuklearen
Bedrohung, die von asiatischen Staaten ausgeht.
Fazit
Mit "Die Stunde der Asiaten" schließt Buchsteiner eine Lücke in der
europäischen Asien-Berichterstattung. Auch die aktualisierte und erweiterte
Taschenbuch-Ausgabe 2008 informiert knapp und kompetent.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 18. September 2005 2005-09-18 14:28:57