Märchenerzähler, so scheint es, sind eine ausstrebende Spezies. Hin und wieder
aber trifft man einen, der sich diesem Genre verschrieben hat, mit Leib und
Seele. Ein solcher Autor ist Folke Tegetthoff, der nicht zuletzt Initiator und
Organisator des weltweit größten Erzählkunstfestivals "Graz
erzählt" ist. Nach dem ersten Band seiner Kräutermärchen aus dem Jahr
1998 legt Tegetthoff nun Band 2 vor. Die Märchen richten sich nicht
ausschließlich an ein junges Publikum. So bekennt der Autor nämlich auf seiner
Internetseite: "Ich halte die Arbeit mit Erwachsenen für weitaus
wichtiger, als meine Arbeit für Kinder. Denn die seelische Verwahrlosung, eine
ständig steigende Unkonzentriertheit, übermäßiger Konsum von TV und
Computerspielen bei unseren Kindern, ist auf die wachsende Unfähigkeit zur
Kommunikation unter den Erwachsenen zurückzuführen. SIE müssen die Kunst des
Erzählens UND des Zuhörens wieder erlernen, um sie dann an ihre Kinder
weitergeben zu können."
Bei seinen Kräutermärchen handelt es sich nicht einfach nur um eine
Zusammenstellung von modernen Märchen, die auf alten Traditionen basieren,
sondern um kleine, kunstvolle Anleitungen, mit denen man sich die Welt der
Kräuter erobern kann. Ein Stück Rückbesinnung auf Vergangenes - und
vielleicht passen deshalb Märchenerzählung und Kräuterkunde so gut zusammen.
Vielleicht liegt es aber auch am Erzählstil Tegetthoffs, der mit einfachen
Worten eine Harmonie zaubern kann, die mitreißt.
In seinen Märchen leben die alten Figuren wieder auf, die kräuterkundigen
Weiber, deren Leben meist sehr einfach war. Die mit ihren Gaben und ihrem Wissen
aber vielen helfen konnten und dennoch oft verfolgt und als Hexen verbrannt
wurden. Doch nicht alleine die Märchen zu Kräutern wie Beifuss, Kamille,
Knoblauch oder Ringelblume hat Folke Tegetthoff aufgeschrieben, sondern auch
Zeichnungen der Pflanzen in diesem Buch abgebildet und Einsatzmöglichkeiten der
verschiedenen Kräuter aufgelistet.
Tegetthoffs Kräutermärchen sind eine durchaus interessante Variante, sich die
Welt von selbst gemachten Salben, Tinkturen oder Säften näher zu bringen. Denn
wer den Spruch kennt: "Warum sollte der Mensch sterben, wenn er Salbei im
Garten hat?", der wird sicher nachvollziehen können, warum die Mitglieder
einer Bauernfamilie in dem Salbei-Märchen alle mindestens so alt wie Methusalem
geworden sind. Doch die Wirkung lässt sich beim König, der ebenfalls von
diesem Kraut erfährt, nicht wiederholen. Je mehr er davon isst, desto
schlechter geht es ihm. Womit Tegetthoff zeigt, dass es manchmal besser ist auf
Qualität zu setzen als auf Quantität. Denn, und auch den Gedanken gibt der
Märchenerzähler seinen Lesern mit auf den Weg, wer nicht wirklich hinter einer
Sache steht und voll darin aufgeht, tja, dem ist eben oft kein Erfolg
beschieden.
Fazit
Und so "versteckt" der Autor neben der Kräuterkunde auch noch so mach
andere Lebensweisheit in seinen kleinen Erzählungen. Ein wirklich liebenswertes
Buch.
Vorgeschlagen von Martina Meier
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veröffentlicht am 16. September 2005 2005-09-16 17:18:45